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Mit Hackbrett und Schleifstein musizieren

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Das „2. Internationale Lincoln Center Festival“ brachte in vierzehn Konzerten verschiedene amerikanische und einige Gastorchester auf das Podium der Philharmonie Hall, darunter das von Daniel Barenboim dirigierte (erstmals in den Vereinigten Staaten auftretende) „English Chamber Orchestra“ und das Londoner „Royal Philharmonie Orchestra“ unter Antal Dorati. Mit größten Ovationen bedacht wurde allerdings eine sechsköpfige Jazzband aus New Orleans, die, mit Veteranen im Alter von 60 bis 70 Jahren besetzt, Perlen des klassischen Dixielandjazz und romantische Blues der zwanziger Jahre mit dem Elan von Jünglingen vortrug. Fünf Veranstaltungen waren der Aufführung von Werken vorbehalten, die mit Unterstützung der „Koussevitzky Music Foundation“ entstanden. Den Anlaß gab die vor einem Vierteljahrhundert erfolgte Gründung der Stiftung (zum Gedenken an Natalie Koussevitzky); nach Serge Kousse- vitzkys Tod im Jahre 1951 wurde die Stiftung von der Washingtoner Kongreßbibliothek übernommen und weitergeführt, und aus dem letzten, im Vorjahr veröffentlichten Katalog wird ersichtlich, daß bisher nahezu 150 Komponisten die Fertigstellung oder überhaupt das Beginnen von Kompositionen jedweder Art ermöglicht wurde.

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Das „2. Internationale Lincoln Center Festival“ brachte in vierzehn Konzerten verschiedene amerikanische und einige Gastorchester auf das Podium der Philharmonie Hall, darunter das von Daniel Barenboim dirigierte (erstmals in den Vereinigten Staaten auftretende) „English Chamber Orchestra“ und das Londoner „Royal Philharmonie Orchestra“ unter Antal Dorati. Mit größten Ovationen bedacht wurde allerdings eine sechsköpfige Jazzband aus New Orleans, die, mit Veteranen im Alter von 60 bis 70 Jahren besetzt, Perlen des klassischen Dixielandjazz und romantische Blues der zwanziger Jahre mit dem Elan von Jünglingen vortrug. Fünf Veranstaltungen waren der Aufführung von Werken vorbehalten, die mit Unterstützung der „Koussevitzky Music Foundation“ entstanden. Den Anlaß gab die vor einem Vierteljahrhundert erfolgte Gründung der Stiftung (zum Gedenken an Natalie Koussevitzky); nach Serge Kousse- vitzkys Tod im Jahre 1951 wurde die Stiftung von der Washingtoner Kongreßbibliothek übernommen und weitergeführt, und aus dem letzten, im Vorjahr veröffentlichten Katalog wird ersichtlich, daß bisher nahezu 150 Komponisten die Fertigstellung oder überhaupt das Beginnen von Kompositionen jedweder Art ermöglicht wurde.

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An der Feier des Stiftungsjubiläums nahmen die New Yorker Philharmoniker, die Pittsburgh Sym- phony, die Boston Symphony und — an zwei Abenden — ein New Yorker Kammermusikensemble teil. Die erste von zwei Uraufführungen wurde im Festivaleröffnungskonzert der New Yorker Philharmoniker geboten, in dessen Leitung sich drei Komponisten teilten: zwischen der 1954 entstandenen „Serenade für Solo-Violine, Streicher, Harfe und Schlagzeug“, die Leonard Bernstein (mit James Oluver Buswell als Solisten) dirigierte, und Aaron Coplands dritter Symphonie (1946) hob Gunther Schuller sein jüngst vollendetes Opus, ein Concerto für Kontrabaß und Kammerorchester, aus der Taufe. Das 19 Minuten währende, vorwiegend lyrische Stück wirkt in seiner poetischen Klangfärbung trotz geschickter Führung der Instrumentalstimmen und effektvollen Abspaltungen der Themen recht monodisch. Den kurzen sechs Sätzen mangelt es an starken Ausdruckskontrasten.

Beschämend wenig Interesse fanden die von Richard Dufallo geleiteten Kammermusikkonzerte, in deren Programm eine Uraufführung, eine amerikanische Erstaufführung und die New Yorker Erstdarbietung dreier Werke figurierten. Das Hauptinteresse… am, ersten Abend konzentrierte sich auf die von David del Tredici geschaffene Vertonung der James-Joyce-Gedichte „Ecce puer“ und „Nightpiece“: das für Sopranstimme, Streicher, Holzbläser, zwei Trompeten, Horn und röhrenartig konstruiertes Glockenspiel geschriebene Werk heißt „Szygie“, worunter man die Konjunktur und Opposition von Sonne und Mond, aber auch die Verbindung zweier verschiedener Versfüße (Dipodie) versteht. Der aus Kalifornien stammende 30 jährige Komponist wählte den auch in moderner Mathematik und Physik verwendeten Ausdruck als Werktitel, um „die zweifache Dimension und doppelte Polarität des Stückes“ klar zu umreißen. Er ist über weitstufige Intervalltechnik und die halb gesprochene, halb gesungene Darstellung einer gedankenvollen Lyrik nicht weiter hinausgelangt als etwa Henze und der diesjährige Pulitzer- Musikpreisträger George Crumb, die am gleichen Abend mit „Being beauteous“ beziehungsweise mit drei Madrigalen (auf Lorca-Texte) zu Worte kamen. Außerdem hörte man die auf Echowirkung berechnete Skizze „Dorian, the Horizon“ des Japaners Toru Takemitsu, ein vor vier Jahren geschriebenes „Stück für Kammermusiker“ von Stefan Wolpe und das 1952 entstandene Streichquartett des eigenständigen, leider vor sechs Jahren verstorbenen Irving Fine.

Im zweiten Konzert hatten „Akrata“ (1965) von Yannis Xenakis und „Canciones a Guiomar“ (1962) von Luigi Nono ihre Feuerprobe zu bestehen: das eine Werk, für je acht Holz- und Blechbläser geschrieben, repräsentiert die stochastische Musik, zu der Xenakis nach Beschäftigung mit Philosophie, Mathematik, Wahrscheinlichkeitstheorie und den Gesetzen der Kettenreaktion gelangt ist; das andere (in der Originalfassung auch Frauenchor verwendend) treibt Weberns Pointillismus auf die Spitze, doch mischte ihn Nono mit Schönbergs Sprechgesangstil zu einem angedeuteten Erfassen des spanischen Kolorits. Die Vereinigten Staaten repräsentierten der 1926 geborene Milhaud-Schüler Seymour J. Shiffrin und der 83jährige Wallingford Riegger mit einem langatmigen einsätzigen Quartett und mit einem schüchtern die Zwölftontechnik verwendenden Concerto für Piano und Bli’serquintett.

Das von 16 Mann bediente Orchester, das der 34jährige Brite Peter Maxwell Davies für „Offenbarung und Untergang“ (nach dem Prosa-gedicht Georg Trakls) verlangt, setzt sich unter anderem aus einer Signalpfeife, einem Petroleumfaß, einem Schleifstein, einem Schalltrichter, aus Handglocken, Hackbrett, Klangstäbchen und Gegenschlagstäbchen sowie aus Stahlstäben und Metallzungen (als Resonanzplatten an einzelnen Instrumenten angebracht) und individuellen Klangverstärkern zusammen. Die amerikanische Erstaufführung des 1966 komplettierten Opus begegnete (in erster Linie dank der überzeugenden gesanglichen Leistung der Sopranistin Bethany Beardslee) stürmischem Beifall. Es ist ein von gespenstischer Stimmung getragenes Werk, in dem grelle Geräuscheffekte mit ahnungsvollen Pausen, geheimnisvolle Choräle mit gewitterartigen Ausbrüchen wechseln. Davies gebärdet sich — auch in der Behandlung des Gesangparts — durchaus avantgardistisch; dennoch ist das Zurückfallen auf Wagners Erda (bei den Worten „Schweigend saß ich“) und auf Strauss’ „Salome“ (bei „Es schmeckte bitterer als Opium“) nicht zu überhören; man wird aber ebenso an Schönbergs „Erwartung“ wie an den Neoklassizismus Strawinskys erinnert.

Den Konzertzyklus beschloß ein Abend der Boston Symphony, die unter Erich Leinsdorf Strawinskys „Ode“, Ginasteras Concerto für Klavier (Jotio Carlos Martins) und Orchester, Dallapiccolas „Tarti- niana“ (Joseph Silberstein als Viö- linsolist) und Bartoks „Concerto für Orchester“ aufführte.

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