6644180-1958_13_15.jpg
Digital In Arbeit

Zwei Ausstellungen und ein Dilemma

Werbung
Werbung
Werbung

In der vergangenen Woche wurden in Wien zwei größere Ausstellungen eröffnet. Zunächst in der A 1 b e r t i n a, Wien I, Augustinerstraße, die der Graphik von Andre M a s s o n. Dann in der Galerie S t. S t e p h a n, Wien I, Grünangergasse 1, die Ausstellung von Oelbildern und Graphiken von Willi Baumeister.

Andre Masson wurde 1896 in Balagny (Oise) geboren. Erist Autodidakt, hat sich aber große Routine! ;und viel ästhetisches Raffinement erworben. AI er 1924 zum ersten Male ausstellte, zeigten seine Arbeiten starke kubistische Einflüsse. Bald darauf schloß er sich den Surrealisten an, bei denen er bis 1929 blieb. Seither tendiert seine Arbeit zu einem abstrakten Impressionismus. Man nannte ihn einen „heraklitischen“ Maler und „L'homme plume“ — weil seine Menschen mit Vogelfedern bedeckt waren (als noch Menschen auf seinen Blättern erschienen). — Er selbst schrieb sehr poetisch über seine Bilder: „Meine Kunst ist wie ein Fenster, auf das — wie Eisblumen des Geistes — das Bild meines Universums abgedruckt ist, vom Skelett des Sandes bis zur Haut des Sterns.“ — Die Albertina zeigt 133 Blätter von Masson: Radierungen, Kaltnadel, Grabstichel, Lithographien; und einige von Masson illustrierte Bücher. Die Ausstellung kam durch die liebenswürdige Vermittlung des bekannten Pariser Kunsthändlers Daniel-Henry Kahnweiler zustande. Die Blätter stammen aus seinem oder des Künstlers Besitz.

Willi Baumeister wurde 1889 in Stuttgart geboren und starb im August 1955. Er gehört zu den vitalsten Erscheinungen der abstrakten Kunst in Deutschland; sein Werk hat die unterschiedlichsten Einflüsse und Anstöße verarbeitet: etwas, was nur im Bereich der abstrakten Malerei möglich ist. Wir haben über die Kunst Willi Baumeisters bereits zweimal berichtet: einmal aus Hamburg im Sommer 1956 und einmal aus Berlin im Herbst 1956. Die Galerie St. Stephan zeigt nun in drei Räumen eine repräsentative Auswahl seiner Oelbilder und einige Graphiken und gibt damit dem Wiener Publikum Gelegenheit, das Werk Baumeisters kennenzulernen.

Das Dilemma ist auf Seiten des Kunstkritikers. Soll er mit internationalen oder nur mit lokalen Maßstäben messen? Masson und Baumeister sind ja international bekannte Größen, bekannter zum Beispiel wie der Oesterreicher Boeckl. Wenn er eingesteht, daß ihm weder Masson noch Baumeister etwas sagen, verwischt der Referent dann nicht alle Maßstäbe, wenn er vor ein paar Wochen an dieser Stelle ein paar freundliche und ermutigende Worte für einen Anfänger fand? — Er will deshalb versuchen, hier nur das Positive zu sagen, was sich zu Masson und Baumeister sagen läßt, und sich mit dem Eingeständnis begnügen, daß er vielleicht zu unrecht — wer kann das heute beurteilen? — weder am Werke des einen oder des anderen eine tiefere Bedeutung entdecken kann. — Von Masson haben die Arbeiten, die aus der mythologischen Welt schöpfen, den stärksten Zusammenhalt: sie leben. Zum Beispiel die farbige Radierung „Die Amme der Vögel“, eine Radierung aus dem Jahre 1947. Oder „Penthesilea“, Kaltnadel, 1946. Die späteren Arbeiten wirken leichter, zugleich aber scheint sich die Substanz zu verflüchtigen. — Die Gestalt Willi Baumeisters muß vor dem Hintergrund seiner Zeit gesehen werden: der Einschnitt der Jahre 193 3 bis 1945, die Verfemung als „entarteter Künstler“ hat ihn zwar nicht gebrochen, darf aber nicht außer acht gelassen werden. Ein Werk, in Kampfstellung entstanden, ist in seinen freien Entwicklungsmöglichkeiten beschnitten. Baumeister war zeitlebens ein aufrechter, -mutiger-Mäntff et “hat ;hie gezögert, für das Lebensrecht der „modernen Kunst“ einzutreten und sie gegen spießbürgerliche Anfeindungen vehement zu verteidigen; seine Schrift „Das Unbekannte in der Kunst“ ist ein wertvolles Zeugnis seiner Anschauungen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung