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Actio und contemplation

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ERINNERUNGEN UND GESPRÄCHE. Von P. Dominique Pire (aufgezeichnet von H. Vehenne). 214 Seiten. Preis 12.80 DM. - LEBENDIGE STILLE. Von Thomas Merton. 190 Seiten. Preis 8.80 DM. — Beide: Benziger-Veriag, Zürich.

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ERINNERUNGEN UND GESPRÄCHE. Von P. Dominique Pire (aufgezeichnet von H. Vehenne). 214 Seiten. Preis 12.80 DM. - LEBENDIGE STILLE. Von Thomas Merton. 190 Seiten. Preis 8.80 DM. — Beide: Benziger-Veriag, Zürich.

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Nahezu zur selben Zeit hat derselbe Verlag zwei Bücher herausgebracht, deren religiöse „Tendenz” auf den ersten Blick als gegensätzlich empfunden werden muß. Das eine sind fast skizzenhaft wirkende Aufzeichnungen eines Mannes, der von sich schreibt, daß er P. Pire, den belgischen Dominikaner, der 1958 den Friedens-Nobelpreis erhielt, arbeiten sah, und daß dieser ihm erzählte: von seinem Werk und seinem Leben, die „eins wurden im Laufe der Jahre”. Das andere stammt von Thomas Merton, dem amerikanischen Weltmann, der ein Mönch der strengen, schweigenden Observanz wurde und der einer Welt, die ihr Wissen von Kartäuserklostern, bestenfalls aus Verdi-Opern und kulturkämpferischen Schriften bezog, Bericht gibt von dem, was sich „hinter den Mauern” abspielt. Seit den Tagen, da gewisse Schüler der Väter in ihrem Bestreben, möglichst lehrhaft und antithetisch zu schreiben, die Herrenworte an Martha und Maria im Sinne eines moralischen Werturteils interpretierten, hat sich dieses Denkschema in der Christenheit erhalten: Hier der weltflüchtige Einsiedel, der sich dem „beschaulichen Leben im Gehaus” hingibt (darob getadelt von allen Liberalen und Jose- finern, bis zum Salzburger Erzbischof Hieronymus, der das nächtliche Chorgebet der Mönche einschränkte, auf daß diese am Tage leistungsfähiger seien), dort aber der aktive Prediger und Seelsorger (scheel angesehen von allen verhinderten Buddhisten und Spätplatonikem im christlichen Talar von Jacob Burckhardts Preisung der Thebais angefangen). Hier die weltflüchtig-passiven „alten” Orden, dort die „Bettelorden” mit ihrer weltzuge- wandten Caritas. Wir könnten diese im Grunde allesamt falschen und wesensunkundigen Antithesen noch lange fortsetzen. Wer — wie es der Rezensent mehr oder weniger durch Zufall tat — diese beiden Bücher unmittelbar hintereinander liest, hat den Gegenbeweis in der Hand.

Da ist einmal der Dominikaner: Ein Leben, im guten Sinne ausgegossen an eine Welt, die die unserer Gegenwart ist. Er hat es mit jenen unter den Flüchtlingen zu tun, die nicht recht in die Lochkartensysteme passen, mit den DPs in den Lagern, mit den Heimatlosen, dem Strandgut. (Nur selten also mit frommen Schäf- lein.) Und er leistet seinen Dienst im Getriebe dieser harten, mechanisierten Welt. Er bilanziert und telegraphiert, diskutiert und protestiert, als ein Franzose und Dominikaner mit zwei natürlichen und übernatürlichen Weihen der Sprachgewandtheit versehen. Und doch wird dieses, vom durchaus meßbaren und international zu Buche schlagenden Erfolg gekrönte Leben niemals zum „Managerdasein”. Er kehrt immer wieder zurück in die klösterliche Gemeinschaft, er wird zum Bruder unter Brüdern und fügt sich in eine spirituelle Disziplin, die nichts mit „Schulung” zu tun hat, ihm aber jene Einkehr in sich selbst erlaubt, ohne die er im Sinne des Korintherbriefes auch dann zum „tönenden Erz und zur klingenden Schelle” würde, wenn er seine „ganze Habe den Armen austeilte und seinen Leib zum Verbrennen gäbe” . . .

Von Trappisten und Kartäusern ist im Buche Mertons die Rede. Der Amerikaner zeichnet keine primitive Apologie dieser Orden, etwa im Gegensatz zu abschätzigen Popularvorstellungen. Er verschweigt nicht, daß der Versucher auch vor dem friedvollsten „Klostergärtlein” keinen Halt macht. Er spricht vom Segen, aber auch von der zum Wahnsinn führenden Gefahr des ewigen Schweigens. Er schwärmt nicht und er romantisiert nicht und er weiß zu gut Bescheid über die einmalige, nicht erzwingbare Berufung zum Ordensstand, als daß er auch nur mit einem Satz Proselyten werben wollte. Aber er berichtet einer Welt, die mehr denn je zum Hören bereit ist, von jenen spirituellen Zentren, die zum Kraftquell nicht nur für die des Sühnegebetes bedürftige weitere Umwelt, sondern ebenso für eine Kirche geworden sind, die im Getriebe der Betriebsamkeit und redseligen Aktionen leer zu werden droht. Er nennt (S. 181) das Mönchtum die Brunnenstube der Heiligkeit in der Kirche. Und er zitiert wenig später den Abt Isaias. einen der „Wüstenväter”, die heute so wenig verstanden und in der Heiligengeschichte verlegen „umgangen” werden: „Die Rückkehr zum Paradies, zum wahren Menschentum im Urständ, ist das Ziel des Klosterlebens.” Die Vollendung des Menschen, nicht seine Verleugnung und Verflüchtigung, ist dem Kartäuser und Trappisten ebenso Zielgebot wie dem schwitzenden Tagesarbeiter im Weinberg des Herrn, der aber seinerseits ohne diese Kraft der Besinnung auf das wahrhaft „Reale” nicht leben und wirken, weder sich selbst noch die Welt erlösen kann.

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