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Digital In Arbeit

Alibi-Baba und die vierzig Ausreden

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Ich bewundere meine Mit-und bedauere meine Gegenmenschen: Sie alle haben eine fixe Weltanschauung, einen festen Glauben und einen sicheren Platz in unserer gar nicht so „globalen” Welt: Sie sind Wiener Neustädter - und haben trotzdem gute Chancen auf ein Regierungsamt - oder Ottakringer, Rapid- oder Bahaii-Anhänger und manche kommen aus Villach. Mit der Bahn.

Ich hingegen ... „Nein!”, unterbricht meine geliebte Frau Helga meinen Gedankenfluß, „hör' endlich mit dieser ewigen ,Wurzel-Suche' und Jdentifikationskrise' auf. Noch dazu interessieren die Furche-Leser Deine hochgespielten Probleme nicht und zwing sie nicht dazu, Dich auf Deiner ,Identifikations-Tour' zu begleiten ... schreibe lieber wieder was Lustiges, wie das die Bedaktion von Dir erwartet...!”

„Gut.” Ich setze mit der Brille ein nachdenkliches Gesicht auf, denke dabei an meinen Wiener Großvater, der ohne ein Wort Ungarisch zu sprechen, in Budapest lebte. Daß sein Enkel zwei Jahrzehnte nach seinem Tod es umgekehrt machen wird, davon träumte mein „Pester-Lloyd”-lesen-der, kaffeehausliebender Großvater sicherlich nicht.

„Höre auf höre ich wieder Helgas Stimme. „Du schwelgst wieder in Deinem intellektuellen Exhibitionismus - und außerdem klingt auch das nicht besonders lustig ...”

„Gut.” Langsam beginnen mich meine eintönigen Antworten zu nerven. „Dann erzähle ich das erste Mal - große Premiere für die Furche-Leser - von meinem geplanten Buch, dessen Titel - wenn auch noch ohne eine einzige Zeile - bereits feststeht: „Alibi-Baba und die 40 Ausreden”. Es wird die „,Auto'-Biographie eines Fußgängers”, eine Art Quadratur des Kreises.

„Meinetwegen ... Hauptsache, man kann zumindest über Deinen Artikel schmunzeln ...” Mit dieser lakonischen, doch wohlgemeinten Feststellung gibt mir Helga grünes Licht.

Ich bin kein ausgesprochener Held. Nirgends. Auch nicht im Büro. Darum bin ich auch Beamter geworden. Als mich vor vielen Jahren eine meiner zahlreichen Chefinnen (es waren insgesamt zwei) zu sich rief, um mich erneut auf einen, in ihren Augen gravierenden Fehler aufmerksam zu machen, blieb ich wie angewurzelt, in einer devot-bewundernden Körperhaltung vor ihrem Schreibtisch stehen und hauchte: „Sie sehen heute wieder großartig aus ...” Sie runzelte, bereits milder gestimmt, die Stirn: „Mit Ihnen kann man nicht ernst reden... gehen Sie mal in sich ...!” „Gut”-, kam meine gewohnte Antwort, „und was mach ich dort ...?” Dann kam eine lange Reihe unterschiedlicher Ausreden, warum ich die von ihr geforderte

Arbeit nicht, beziehungsweise nur recht mangelhaft gemacht habe.

„Ausreden” sind überhaupt meine Lieblingsbeschäftigung. Als schlechter Schüler und schwacher Student, als Berufsanfänger, der stets das gemacht hat, was niemand verlangte, als karrieremeidender Beamter, der überall versuchte, eigene Ideen und Gedanken zu verwirklichen - war ich stets auf „Ausreden” angewiesen.

Seit sechs Jahrzehnten bin ich auf meine blühende Phantasie angewiesen, um auf die Abertausenden „Warum haben Sie das getan ...?!” und „Warum haben Sie das nicht getan ...?!” stets eine nur halbwegs glaubwürdige (Schein-)Antwort geben zu können.

Ich weiß es nicht, wie es anderen geht; ich werde pausenlos von irgendeiner Autorität zur Rede gestellt. Mir genügt schon das erste und immer wiederkehrende „Warum?!” und aus mir sprudelt schon irgend

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