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Allerhand Gehorsam

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Wer ist das doch, der sich durch die vielen Stimmen hindurch an unser Ohr drängt, daß wir horchen sollen, um dann gehorchen zu müssen?! im Gewissen und im Gebet, auf dein Kasernenhof und im Kloster, auf der Arbeitsstätte und im Straßenverkehr, bei Handhabung des Staubsaugers und beim physikalischen Experiment. Ueberallhei kommen Stimmen, die befehlen. Und mitten darin ist der Mensch, der diese Stimmen hört. Gehorcht er, so scheint die Welt weiterzugehen; aber die Freiheit des Menschen? Gehorcht er nicht, so gibt es Unglücke — aber die Selbstbestimmung scheint gewahrt. Das geht so lange nicht auf, dies elende Geschäft des Menschseins zwischen den befehlenden Stimmen und der gebeugten Freiheit — bis der Gehorsam gelernt ist: als der abenteuerliche Beginn stets neuer, unvorhergesehener Wege. Im Abenteuer des Gehorsams wird der Mensch frei, sogar von seinem selbstsüchtigen Selbstwahn.

Die Geschichte des südamerikanischen Knaben Anicet ist voller Stimmen, die schlimm zu sein scheinen. Der Vater ist ein Meisterdieb, die Mutter stirbt zu früh, die Brüder gehen in alle Richtung hauslos auseinander. Als Zuschauer in einen Putsch geraten, kommt er in die Zange der Polizeigefängnisse, unter gute und schlechte Verbrecher, in Schwindsucht, Schmutz und Hunger. Wie ein Traumwandler, der sich nicht wehrt, weil Wehren unnütz ist, lebt er mit.zwei älteren Männern: alle drei sind nicht gewillt zu arbeiten, sondern von Tag zu Tag zu leben. Bis sie auch dies satt haben und einander behutsam (wie es nur freie Bummler und Taugenichtse noch können) zur Arbeit verleiten — aber auch die wie eine Forderung an sich selbst, einmal etwas anderes als das Gewohnte zu versuchen.

Manuel Rojas „Wartet, ich komme mit“ (Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von A. M. Rothbauer. Styria, Graz. 353 Seiten), so heißtdiese Dichtung vom elenden Leben, dem keiner entrinnen kann, weil er nicht mehr entrinnen mag. Es ist genug, zu sein, zu leben. Auch dies ist Gehorsam. Der Seinsgehorsam derer, die ihre Freiheit aufgehen an den Tag, um frei zu sein von den höheren Verantwortungen, deren sie nie fähig wären.

Anders und doch ähnlich ist der Gehorsam des • protestantischen Pastorensohnes Erik: der wird Be-neefiktinermönch in Clerf und lernt den religiösen Gehorsam unter einem Abte. Zum Militär nach Dänemark zurückgerufen, wird er ein Cornet', der befehlen kann, weil er Gehorsam gelernt hatte und ein Mensch des Geistes und religiöser Zucht war. Kurz nach seiner Priesterweihe beginnt der (letzte) Weltkrieg und er muß wiederum zur dänischen Armee einrücken. Von dort entlassen, ruft ihn der Gehorsam nach Rom. Roms Bedrohung und Italiens Priestermangel führen ihn in die Emilia, nach Norditalien, wo er den kalten und den blutigen Krir -erlebt. Obwohl er Priester bleiben will, wird er in die Wiederstandsbewegung gezogen, wird Chef der Giulia-Brigade unter dem bald legendären Namen „Paolo danese“. In unerbittlicher Zucht führt er die Truppen. Im eroberten Parma rindet er sich seinem Bischof gegenüber, der den in soldatischen Gehorsam und seinen Truppen verpflichteten Mönch exkommuniziert. Italiens Befriedung durch die Alliierten macht der Brigade ein Ende — nicht nur ihrer äußeren Gestalt, sondern auch leider ihrem inneren Sinn: der Einheit der abendländischen Christenheit zu dienen — denn es ist leichter, mit der Waffe in der Hand dieses Ideal zu erkämpfen, als es in „Friedens“zeiten betend und politisch durchzusetzen. Jetzt trifft ihn noch die Liebe Jener Giulia, nach der einst der Gründer der Brigade, Enzio Lanzio, seine Bewegung genannt hatte. Die Geliebte stirbt, während sie dem Paolo danese die Wege in die Politik ebnen will, an einem kommunistischen Attentat. Nun hält den „Fremden“ nichts mehr in Italien zurück: keine Idee, keine Liebe, keine Menschen, kein Priestertum, kein Mönchgewand und -gehorsam. Er nimmt die Verzweiflung eines Menschen mit sich, der sein Leb.en aus lauter gutem Willen und gutgemeintem Ungehorsam zerstört hat. In Dänemark, bei seiner Schwester, erreicht ihn ein ehemaliger, aus Clerf entsandter Mitbruder. Nachdem er diesem als erstem sein Leben und seine Verzweiflung geschildert hatte (diese Erzählung ist das Buch von Consilia Maria Lakotta „Der Mönch im Feuer“. Verlag Tyrolia, Innsbruck. 395 Seiten. Preis 78 S), nimmt er des Mönchs Angebot, ins Kloster zurückkehren zu können, mit dem nunmehr erfahrenen Wunsch entgegen: „Ich würde darum bitten, der Diener aller sein zu dürfen.“ — Dieser „Mönchsroman“ ist deshalb bedeutend, weil er einer der ersten ist, die diese bisher fehlende Romangattung (nach den vielen Priesterromanen) gültig ausfüllt. Zudem ist nicht mittelalterliche Romantik, sondern heutiges Mönchstum mit seinen alten Würden und Wunden in modernen Mönchs-Menschen geschildert. Die Stimme der Umweltforderungen, die, Gehorsam verlangen, im Konflikt mit den Stimmen der menschlichen Autoritäten, die Gehorsam fordern dürfen, klingen ans Ohr des Menschen: in diesem Trubel sich auszukennen und einfältig sich zu entscheiden, ist ebenso schwierig wie selten. Dies zeigt dieses Buch.

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