Alles fließt - im Bad

Ich habe einen außerordentlich gebildeten Installateur. Er heißt Herschkowitz, kommt aus der Bukowina und nach Bedarf zu mir. Er ist ein vielseitiger Mann, ein wahrer Künstler der Dichtung. Jedesmal wenn er einen meiner zahlreichen tropfenden Wasserhähne repariert, schaut er mich triumphierend an: „Sehen Sie, ich ,dichte' schon wieder...!”

Herschkowitz' Schwiegervater, dessen Firma er übernahm, hieß mit Familiennamen Fürst. Der „dichtende” Schwiegersohn, der seinen installierenden Schwiegervater immer bewunderte, spricht von ihm immer nur per „Dichter-Fürst”.

Mit der „Schwiegervater-Richter-Fürst'”-Story quält mich Herschkowitz unentwegt, bis er eines Vormittags nach einem Wochenende voller Rohrbrüche, die immer zwischen Freitagnachmittag und Sonntagabend passieren, mit seiner Werkzeugkiste bei mir auftauchte.

Ich war sicher, daß Herschkowitz mich nicht mehr verblüffen wird kön -nen, und so beschloß ich, das 200. Mal über seinen „Dichter”-Witz zwar gequält, doch scheinbar herzlich zu lachen. Geduldig, in nicht sonderlich freudiger Erwartung seines kommenden Vergleichs zwischen „dichten” hier wie dort - mit „hier” meinte er den verblichenen Schwiegervater und mit „dort” den Goethe —, geleitete ich Herschkowitz in unser Badezimmer, das frappant einem Swim-ming-pool ähnelte.

Mein überaus gebildeter Installateur blieb vor dem Anblick eines feucht-fröhlich dahinplätschernden Badezimmers augenzwinkernd stehen und sagte kurz und bündig: „Alles fließt!”

Ich war zuerst sprachlos und dann nervös. Eine leichte Frustration („Wo bleibt heute der ewige ,Goethe'-Ver-gleich?”) bewegte meine Magennerven. Herschkowitz kümmerte sich überhaupt nicht um meinen Seelen-zustand - leider auch nicht um das Badezimmer - und sagte leise, doch sehr bestimmt: „Wie bei Heraklit: Alles fließt ...!” Zu meiner größten Überraschung hörte ich meine eigene, wenn auch recht zaghafte Stimme: „Was meinen Sie? Was ist mit dem Fließen ...?” Da ich für meinen außerordentlich gebildeten und vielseitigen Installateur anscheinend immer noch nicht vorhanden war, sinniert er ungerührt weiter: „Heraklit sagte, daß man nicht zweimal in denselben Fluß steigen kann.”

„Wissen Sie”, wandte sich Herschkowitz, der sich plötzlich meiner erinnerte, an mich, „warum Heraklit nicht der Schutzpatron der Installateure geworden ist?” - „Nein”, antwortete ich wahrheitsgemäß, wenn auch bereits mehr als nur leicht frustriert, „das weiß ich wirklich nicht.” Herschkowitz schaute mich triumphierend an, er entdeckte zwar nicht den Rohrbruch, aber eine meiner zahlreichen Bildungslücken und sagte klipp und klar: „Heraklit war nicht katholisch!”

Jetzt konnte ich mich nicht mehr beherrschen, mürbe durch die jahrelangen „Dichter-Dichtung” - Witze schrie ich gequält auf: „Was heißt hier, ,nicht-katholisch'? Heraklit hat 500 Jahre vor Christus gelebt und ich bin mir nicht einmal sicher, ob Christus katholisch war ...!”

Herschkowitz, der - im Gegensatz zu mir - außerordentlich gebildet war, würdigte mich samt meiner verzweifelten Argumente nicht eines müden Blickes. Langsam begann er einen Heizkörper und die Geheimnisse antiker Philosophie zu lüften: „Heraklit war ein Meister des Gegensatzes als er sagte: ,Wenn niemals Krieg wäre, würden wir den Frieden gar nicht schätzen

Jetzt platzte mir, wie das Rohr in der Wand, der Kragen: „Herr Herschkowitz, Sie haben recht. Wenn wir keinen Rohrbruch hätten, dann wären Sie jetzt nicht da.” Jetzt erreichte mein Mut ungeahnte Höhen: „Auch zwischen dem Zustand unseres Badezimmers und ihrer Bereitschaft besteht ein gewaltiger Gegensatz...!”

Da hätte ich allerdings nicht sagen dürfen, das war auch der Seele eines philosophiegestärkten Installateurs aus der Bukowina zuviel. Entschlossen wandte er sich vom flußartigen Badezimmer ab und der Eingangstür zu: „Ich gehe jetzt, es ist Mittagspause!” - Zumindest in diesem einen Punkt ist mein Dichter-Philosoph-In-stallateur ein richtiger Handwerker geblieben.