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Auf Nichts reduziert

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Es wäre aufschlußreich, zu erfahren, was den französisch schreibenden Irländer Samuel Beckett eigentlich dazu bewegt, in Romanen, in Schauspielen und Gedichten mit einer nachgerade erschreckenden Konsequenz Allegorien einer verkümmerten Menschheit in einer zur unfruchtbaren Wüste gewordenen Welt ohne Gegenwart und Zukunft zu bieten. Sein berühmter Erstling, „Warten auf Godot”, war noch eine reizvolle, mit groteskem Humor bewegte Clownerie, darin es sogar einen Baum mit einem ergrünten Blatt gab. Im „Endspiel” freilich vegetieren schon neben dem Lahmen und dem Nichtsitzenkönnenden die beiden Menschenwracks der Eltern in den Mülleimern, und im Einmannspiel „Das letzte Band” gab es nur noch den grenzenlos einsamen Monolog eines „letzten Menschen”. Das weibliche Pendant dazu ist die nicht mehr junge Frau in der zwei Akte lang dauernden Szene „Glückliche Tage”, mit denen das Berliner Renaissancetheater einen Abend lang im Akademietheater gastierte. (Im Vorjahr hat sich das Wiener Ateliertheater um das Stück bemüht.)

Winnie, die Frau, steckt in einem Erdloch, in das sie zusehends versinkt: Am ersten Tag bis zur Körpermitte, am zweiten bis zum Hals. Aber als unverbesserliche Optimistin erinnert sie sich mit Vergnügen des Vergangenen, als sie noch Beine, ihr Mann noch Mut und die Welt noch Gegenwart hatte. Sie hält es — auch im offensichtlichen Zustand der Verwesung — mit dem Leben, putzt sich die Zähne, kämmt das Haar, gebraucht den Lippenstift. Ihr Optimismus steht in hartem Gegensatz zu der Hoffnungslosigkeit ihres Zustandes und der noch weit größeren ihres Ehemannes, von dem man nur wenig zu sehen und zu hören bekommt, der aber, milde ausgedrückt, ein reichlich undelikates Individuum zu sein scheint. Die eineinhalb Stunden der Aufführung werden fast durchweg mit dem Gerede der Frau über Gott, die Welt und den kleinen Alltagskram ausgefüllt, Erinnerungen an dies und jenes, an alles und nichts. Natürlich erweisen sich die „glücklichen Tage” als schreckliche Illusion.

Dem Zuschauer bieten dieser Fall und das Reden ins Leere nur eine einförmige Situation und Bruchstücke eines bis zuletzt gesichtslosen, unkenntlichen Lebens. Auch derjenige Teil des Publikums, der bis zum Schluß durchhielt, war kaum gewillt, Samuel Becketts trostlose Endsituation als exemplarisch hinzunehmen und vergebens eine Antwort auf die Frage dieses Nichtstückes zu finden, ob Verdammnis oder Erlösung das Ziel der versinkenden Menschen sei. Der Beifall galt der Hauptdarstcllerin des Abends, Grete Mosheim, die eine bewundernswerte schauspielerische Leistung gab. Ihr nur wenig in Erscheinung tretender Lebens-, besser Absterbensgefährte war Tilo von Berlopsch. Für die Regie zeichnete Hans-Karl Zeiser verantwortlich.

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