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Boom für Scharlatane

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In den letzten Monaten wurde Israel von Wahrsagern, Hypnotiseuren, Schwarzkünstlern und Telepathen nur so überschwemmt. Der weitaus bekannteste Israeli heißt derzeit nicht Moshe Dayan, sondern Uri Geller.

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In den letzten Monaten wurde Israel von Wahrsagern, Hypnotiseuren, Schwarzkünstlern und Telepathen nur so überschwemmt. Der weitaus bekannteste Israeli heißt derzeit nicht Moshe Dayan, sondern Uri Geller.

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Geller beschäftigt sich mit Telepathie und Telekinese. Er gibt allabendlich sehr gut besuchte Vorstellungen in den Städten des Landes, erregt aber auch Widerspruch. In der profilierten Tageszeitung „Ha'aretz“ erschien eine Artikelserie eines Professors der Technischen Hochschule in Haifa, die zu beweisen versuchte, daß die Telepathievorführungen Gellers nichts als simpler Betrug seien. Fast sah es so aus, als ob sich Israel in Gegner und Anhänger Uri Gellers gespalten habe. Er wurde eingeladen, seine Künste auf dem Bildschirm zu zeigen. In einem der Fernsehstudios versammelte man das Publikum, meist Anhänger der Gegenpartei. Doch Geller brach seine Vorstellung kurz nach ihrem Beginn ab und erklärte: „Mit einem feindseligen Publikum kann ich nichts anfangen.“

Ein bekannter Hypnotiseur, Avi-schalom Drori, war bis vor einigen Jahren ein kleiner Englischlehrer an einer provinzschule. Plötzlich erinnerte er sich seiner Fähigkeit zur Hypnose und entdeckte das israelische Publikum. Auch er gibt Abend für Abend Vorstellungen vor ausverkauften Häusern, wählt aus dem Publikum seine Medien, versetzt sie während der Tf ance in ihre Kindheit zurück und läßt sie berichten. Andere läßt er in der Trance „älter werden“, damit sie über die Zukunft erzählen.

Ein Schweizer Hypnotiseur, der sich Professor Blake nennt, besuchte auf seiner Tournee auch Israel. Sein Erfolg war so groß, daß er hier seine Zelte für immer aufschlug. Vor vielen Jahren gründete bei uns eine etwas überspannte Dame eine spiritistische Gesellschaft. Anfangs hatte sie nur wenig Erfolg, doch' in den letzten Monaten war auch ihr Glück beschieden. Sie gründete alsbald eine zweite, nunmehr parapsychologische Gesellschaft mit vielen zahlenden Mitgliedern. Ihre Spezialität ist der Import von Para-psychologen und Spiritisten, die hier mit großem Erfolg Gastvorstellungen geben.

Sogar die Astrologie ist neuerdings salonfähig geworden, obwohl sie von der jüdischen Religion verpönt wird. Der Talmud spricht über sie nur abfällig. Zwei der größten hiesigen Tageszeitungen veröffentlichen jedoch bereits jede Woche ein Horoskop und dieses scheint der populärste Teil der Zeitung zu sein, für manche die einzige Lektüre. Sogar am Badestrand von Tel Aviv kann man an Wochenenden Dutzende junger Mädchen sehen, die, anstatt zu schwimmen, sich eingehend mit ihrem Horoskop beschäftigen. Die Astrologen Israels — und es gibt ihrer einige — werden neuerdings bereits zu ernsten Beratungen hinzugezogen. Ein bekannter Börsenmakler, ein Industrieller und ein General der Infanterie zählen angeblich zu den Stammkunden einer jungen Astrologin, die sich in England einen akademischen Grad in Astrologie erworben haben soll. Einer ihrer männlichen Kollegen prophezeit einen neuen Krieg, der in drei Monaten ausbrechen soll und beunruhigt damit viele Gemüter.

Im Anzeigenteil der Tageszeitungen preisen Wahrsagerinnen, Damen, die aus dem Kaffeesatz lesen und aus der Handfläche die Zukunft voraussagen können, ihre Künste an. Alle sind sie vollbeschäftigt. Es ging ihnen noch nie so gut wie heute — und dies in einem modernen Industriestaat mit ausgezeichneten Universitäten!

Wie ist es dazu gekommen? Warum gerade jetzt und nicht schon vor Jahren? Psychologen der Hebräischen Universität beschäftigten sich mit diesem Problem und kamen zu dem Schluß, daß das Leben unter jahrelangem Kriegsdruck eine allgemeine nervöse Spannung hervorgerufen hat. Die Bevölkerung sucht Sicherheit. Seit dem Beginn der Waffenruhe am Suezkanal wurde dieser Drang nur noch stärker. Gegenwart und nahe Zukunft versprechen keinen Frieden. Von Sicherheit ist keine Rede. Die Rückkehr zur Religion war für viele unmöglich und deshalb fand sich eine Ersatzreligion als Ausweg. Diese eröffnete Scharlatanen mit internationalem Ruf ein fruchtbares Arbeitsgebiet: Wahrsager aus aller Welt, kommt nach Israel — hier glaubt man euch (derzeit).

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