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Brillantes Theater aus Frankreich

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An drei Gastspielabenden führte das von den ehemaligen Mitgliedern der „Comedie Frangaise“ Jean-Louis Barrault und Madeleine Renaud geleitete Theätre de France einen klassischen, und^znsoai! moderntDra-matikerw.jm Theater.t--cm dem-nWien auf. Zum erstenmal hörte man die Komödie des Beaumarchais „Le Mariage de Figaro“ (Urbild zu Mozarts „Figaros Hochzeit“) im Original. Wenn Hofmannsthal das Französische als eine „weltlichere Sprache als die unsere“ rühmte, „aus der man deutlich auch vergangene weltliche Dinge reden“ höre, so war es gerade die Sinn und Wahrheit bergende Weltlichkeit, welche sich in diesem Spiel entfaltete, welche

Sprache und Gestik, das bezaubernde Bühnenbild (Pierre Delbe) und die eleganten, keinesweg historisierenden Kostüme (des berühmten Modeschöpfers Yves Saint-Laurent) zu einem künstlerischen Ganzen verschränkte und steigerte. Die einfallsreiche, mitreißende Inszenierung Barraults dämpfte den scharfen Klang der politischen Gegensätzlichkeiten dieses die Französische Revolution ankündigenden, wetterleuchtenden Stückes. Der Kampf um das jus primae noctis, die skeptisch-überheblichen Fragen Figaros an den Grafen, wurden von der Leichtigkeit und Anmut der Komödie überdeckt. Es war ganz und gar Beaumarchais — und nicht ein Mozart ohne Musik. Dem noblen Grafen (Jean Desaiüy), der frauenhaft reizenden Gräfin (Simone Valere), dem überlegenen, wortflinken Figaro (Dominique Paturel), der für seinen großen

Monolog im letzten Akt Sonderbeifall erntete, der kecken, temperamentvollen Suzanne (Anne Donat) und dem überaus rührenden, verliebten Pagen Oherubin (Jean-ffJer7^Hme£).;steßden die bewußt ^ssenineißeMsehen Gestalten | gegenüber. Eine schöne, ungemein lebendige Aufführung.

Der zweite Gastspielabend der französischen Truppe brachte Eugene Ionescos „Rhinociros“. Barrault als Regisseur war weit davon entfernt, die Farce von den „Nashörnern“, in die sich die Menschen verwandeln, wenn sie dem Sog zur Masse unterliegen, mit einem nicht vorhandenen philosophischen Tiefsinn zu belasten. Nicht „tierischer Ernst“, sondern Wortwitz, Situationskomik dominierten. Das Sinnbild des kollektiven Wahnsinns, wenn in Frankreich oder in Schiida und überall die Masse Mensch zur Masse Hornvieh, der Mitläufer zum Mittrampier wird, ergab am Ende .^unterhaltendes“, effektvolles Theater, das sich bis zum Schluß an die vordergründige Komik hielt, welche die Verwandlung in grunzende Dickhäuter hergibt. Einige Szenen gelangen besonders wirksam, etwa das Sprechquartett und der Traueraug für die zertrampelte Katze im ersten Bild oder die Gespräche im Büro. Barrault selbst blieb bis zum Ende der kleine, unbedeutende Büroangestellte Beranger. Erst in der großen Schlußszene, als er, der letzte, Mensch gebliebene Einwohner der Stadt beschließt, nicht zu kapitulieren, nicht Nashorn zu werden, und auch das eigentlich nur unheldisch und kaum freiwillig, gibt Barrault die gewahrte Zurückhaltung auf und erweist sich als der große Darsteller des Menschlichen und des Menschen. Die übrigen Schauspieler des Abends waren durchwegs gut; hervorragend alle, die etwas zu spielen hatten.

„Sucht nicht nach Symbolen in meinen Stücken!“ forderte Samuel Beckett auf einer Pariser Theaterprobe. „Wir sollten so viele Lacher wie möglich aus dieser furchtbaren Wirrnis herausholen.“ Das gilt gewiß auch für den Sandhügel unter der sengenden Sonne in dem Stück „Oh! les beaux jours“, in dem Winnie, eine alternde, im Sterben begriffene Fünfzigerin, erst bis au den Hüften und dann bis aum Hals versinkt. In einem weit über eine Stunde dauernden Monolog schwatzt sie zu sich und dem bis gegen Ende unsichtbar bleibenden Ehemann über den Himmel, die Welt und den kleinen Alltagskram; erinnert sich an „glückliche '“age“ und bleibt selbst in dieser alptraumartigen Situation optimistisch. Nur manchmal, wenn sie die Angst vor der Einsamkeit und der Vergänglichkeit allen Flei-

sches überkommt, schreit sie auf oder starrt todtraurig ins Leere. Madeleine Renaud spielte das olowneske wie das tragische Element des Stückes bewundernswert nuancenreich, präzise und natürlich aus. Eine großartige schauspielerische Leistung, fesselnd bis zum Schluß, wenn schon nicht mehr die Hände, sondern nur noch die herrlich ausdrucksvollen Augen .^mitspielen“. Ganz zuletzt taucht das Gespenst ihres Mannes (Barrault) in Zylinder und Outaway auf und müht sich vergeblich, den Grabhügel zu ihr hinaufzuklettern. Für die authentisch anmutende Inszenierung zeichnete der Regisseur Roger Blin. Es gab stürmischen Beifall für Madame Renaud.

„Spielen“, erklärte der theaterbesessene Jean-Louis Barrault in einem Essay, „bedeutet kämpfen gegen die Angst, es bedeutet das Glück erfinden. Denn das Glück ist die Uberwindung der Angst. Im Spiel verfügt der Mensch über sich selbst.“ So gesehen, fügten sich die drei von dem Pariser Ensemble in Wien vorgeführten Spiele zwanglos und unmittelbar dem Motto der Wiener Festwochen von heute: Kunst in Freiheit.

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