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DAS GROSSE FESTESSEN

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Jedes Jahr am 1. Februar lädt die Witwe des Adelsmarschalls Trofim Sawsjatow zu einem Festessen. An diesem Tag, dem Geburtstag ihres verewigten Gatten, läßt sie die Trauermesse mit allen Zeremonien lesen. Zu diesem Ereignis versammelt sie alles, was Rang und Namen hat. An der Spitze der Gäste, in voller Uniform, erscheint der neue Adelsmarschall Chrumow. Neben ihm glänzen der Polizeichef Krinolinow, der Pope Jewmenji mit dem Diakon, der Kreisarzt mit Gattin und Tochter, und natürlich der Bezirksvorsteher Marfutkin, der die Witwe besonders verehrt.

Ahn .zpl{,Uh;uversammejnssifih, ajfe jn d.epj .sclarzrafiierten Saloni Matt-$eht,um dem EtlBS.e-$tondebgesecrJzu?(in.,Juf. Zehenspitzen..Während den-PDpe- JwrrienjHdm Diakon etwas ins Ohr flüstert, füllt sich der Saal mit bläulich durchsichtigem Weihrauch.

Die Witwe, Ljubow Petrowna, steht nun ganz vorn und hat bereits Tränen in den Augen. Alle Gesichter nehmen in diesem Augenblick einen Ausdruck tiefer Trauer an. Aber bald ist die Messe zu Ende, und das Leben kehrt in die Mienen der Gäste zurück.

Während der Geistliche seinen Ornat ablegt, reiben sich die Männer erwartungsvoll die Hände, und, nachdem sie geduldig einer Lobrede der Witwe über die Güte und Selbstlosigkeit zugehört haben, folgen sie artig ihrer Einladung zu Tisch. Hier erwartet sie, wie alljährlich, ein so üppiges Mahl, daß der Pope nicht umhin kann, sogleich ein Lob auf die Hausfrau zu intonieren.

Die Speisen sind in der Tat hervorragend, beinahe einer Opfergabe für die Götter würdig; denn auf dem langen Tisch gibt es alles, was Flora und Fauna zu bieten vermögen, alles ... mit Ausnahme alkoholischer Getränke: denn die Gastgeberin hat sich geschworen, daß Karten und Schnaps, die ihren Mann ins Grab befördert haben, niemals in ihr Haus kommen sollen. Deshalb sieht man Flaschen mit Limonade und Sodawasser, was den Gästen, die allesamt sonst Wodka und Wein huldigen, wie ein Hohn erscheint

„Ich bitte, zuzugreifen, meine Freunde Aber Sie müssen mich schon entschuldigen. Schnaps habe ich nicht, und Sie wissen es ja, weshalb ...“

Die Gäste beginnen schweigend zu essen. Doch merkt man bald an einer eigenartigen Stimmungslosigkeit, daß etwas Entscheidendes fehlt. Die Unterhaltung stockt, wird leiser und abgerissener. Verstohlene Blicke irren von Mann zu Mann.

„Ich habe ein so komisches Gefühl in der Magengegend“, flüstert einer seinem Nachbarn zu. ..Ohne etwas Getränk kann ich einfach diese herrlichen Speisen nicht genießen!“

„Ich auch nicht“, sagt der Gutsbesitzer Sobakin. „Es fehlt halt was...“

Der Vorstand Marfutkin beginnt plötzlich in den Taschen her-umzusuchen, um sein Taschentuch zu finden. „Na, so einer bin ich; das habe ich in meinem Pelz vergessen“, sagt er laut, und geht in die Halle.

Er kehrt mit ölig glänzenden Augen zurück und beginnt sogleich, mit dem größten Appetit die guten Dinge zu verzehren.

„Können Sie überhaupt diese fabelhaften Sachen so trocken hinunterwürgen?“ flüstert er dem Popen zu. „Gehen Sie in die Halle, Väterchen! Dort steckt in meinem Pelz eine Flasche...“ iißjiX$Ö?chen ,inS?fejsb naifteinm.MleiiapV er dringend dem Kirchendiener etwas zu Desteilen habe, und trippelt eiligst i ainaws.ljire)'. jusri nsbnw rtjisI&isV ars?sib öS 'sütgstt

..Väterchen .. . nur ein Wort. Nur unter un...“, sagt der Arzt, hinter ihm hereilend.

„Wenn Sie wüßten, meine Freunde, was für einen Pelz ich mir gekauft habe. Ein Gelegenheitskauf, ein Geschenk, sag' ich euch!“ meint Chrumow. „Nicht einmal ein Viertel des wirklichen Preises :.. bei Gott!“

Zu jeder anderen Zeit hätte diese Nachricht jeden kaltgelassen. Jetzt aber sind sie alle toll darauf, sich von der Wahrheit des Gesagten zu überzeugen.

„Na, kommt schon mit, Brüder, und schaut euch das Zeug an... !“

Als ein besonders gut geratenes Fischgericht serviert wird, erinnert sich der Polizeichef Krinolinow, daß er im Schlitten seine Zigaretten liegengelassen habe, und eilt in den Pferdestall, wo er just mit dem Diakon zusammenstößt, der gerade nach seinem Roß schauen muß — „Prost!“ rufen sie einander zu.

Als alle Gäste fort sind und es Abend wird, setzt sich die Witwe Ljubow Petrowna zu ihrem Schreibtisch — nicht mehr verweint und traurig — und beginnt einen ausführlichen Bericht an ihre Petersburger Freundin:

„Denke Dir, Natascha, heute ließ ich für meinen verstorbenen Gatten, wie alljährlich, die Trauermesse lesen. Alle Freunde waren erschienen: der Arzt Dwornjakin, der Pope mit dem Diakon, der Bezirksvorsteher, der neue Adelsmarschall Chrumow mit dem Polizeichef, sogar der Gutsbesitzer Affanassiji — unter uns gesagt — alles einfache Provinzler, aber was für Gemüt, was für Fröhlichkeit! Und alles ohne einen Tropfen Alkohol; denn ich habe mir geschworen, in unserem Landkreis die Trunkenheit gänzlich auszumerzen. Vater Jewmenji ist von meinem Plan geradezu begeistert und steht mir mit Rat und Tat unerschütterlich zur Seite. Ach, meine Liebe, wenn Du bloß dabei gewesen wärest und alles mitangesehen hättest! Der Bezirksvorsteher ergriff zum Schluß meine Hand, hielt sie gefühlsvoll an seine Lippen gepreßt, und Tränen der Rührung strömten über seine Wangen. Der Pope kam zu mir, sah mich bedeutungsvoll an und lallte wie ein Kind. Ich habe leider nicht alles verstanden — aber sicher war es, daß ihm aus innerer Ergriffenheit die richtigen Dankesworte fehlten. Und der Polizeichef, jener interessante Mann, über den ich Dir öfter geschrieben habe, wollte mir unbedingt seine Gedichte vorlesen. Aber seine Kräfte versagten. Er fiel plötzlich um — direkt zu meinen Füßen. Ach, nicht zu beschreiben! Das Übermaß an Verehrung hatte diesen Recken einfach umgeworfen. Da lag auch schon der Diakon neben ihm, küßte ihn, und das alles — zu meinen Füßen... Wenn Du wüßtest, Nataschenjka, wie stolz ich bin, diese trunksüchtigen Brüder soweit gebracht zu haben, die mir bei meiner Aufgabe so treu zur Seite stehen .

Aber es ging leider nicht ohne Zwischenfälle ab. Dem armen korpulenten Chrumow wurde schlecht. Er mußte zwei volle Stunden lang auf meinem Plüschsofa besinnungslos liegenbleiben. Es ist mir aber gelungen, ihn soweit mit kaltem Wasser zu sich zu bringen. Zu größtem Dank bin ich unserem Arzt Dwornjagin verpflichtet Er brachte rasch aus seiner Privatapotheke eine Flasche Kognak und rieb dem Patienten die Schläfen ein . dadurch erholte sich dieser Riese und konnte bald von meiner-Kutscher nach Hause gebracht werden ...“

(Aus dem Russischen von Irene v. Bischoffshausen)

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