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Der Birnbaum

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(7. Fortsetzung)

Und sie umspannen den Polizeikommissär, der sich von solchen Dingen nur zu gerne und bald dem anderen Leben, das er trocken und unbeseelt zu benennen pflegte, entrücken ließ. Akten, Protokolle, Vermerke, selbst der Fall Hendl waren auf einmal unermeßlich fern, und Herr vön Tauff legte als ein plötzlich verwandelter Mensch mit einer behutsamen Gebärde ein Papierblatt vor sich hin, auf das er’ in den letzten Amtsstunden säuberlich die Verse einer kleinen Ode hingeschrieben hatte, die nur da und dort ein wenig verbessert waren und nun weiter behandelt werden sollten.

Doch seine Dichterstimmung erhielt plötzlich einen eiskalten Guß.

Ohne viel Zeremonien, wie sie Anfrage, Entschuldigung und Bitte sind, kam eine sehr aufgebrachte Frauensperson zur Türe herein, die Abwesenheit des Wachtmeisters Nagele nützend, und war von jener beängstigenden Beredsamkeit, der nichts heilig und vorgesetzt ist und vor der sich auch die sonst sehr würdige und mutige Behörde fürchtet. Und so war denn der Dichter gleich wieder aus dem stillen Gehege seiner Gedanken hinausgestoßen; deshalb war au di der Empfang wenig freundlich:

„Sie hat draußen zu warten, bis Sie aufgerufen wird."

„So... zu warten... und derweil geht mir der Lump zum Teufel."

„Was für ein Lump?“

„Der mir die Speiskammer ausgeräumt hat."

„Wer ist Sie?"

„Ich bin die Wirtin Amalia Weinzierl vom Gasthaus ,Zur Traube' bei Ober-Sankt- Veit und möchte der Polizei zu wissen tun, daß mir gestern bei hellichtem Tag ein ganz elendiger Kerl in die Speiskammer eingebrochen ist. Und weil die Polizei dafür da ist...“

Tauff, das abgründige Wesen so einer gereizten Person unterschätzend, winkte mit einer vornehmen Handbewegung ab, allein er sollte die unheimliche Mundkraft einer erbosten Wirtin fröstelnd erfahren.

„Still bin ich durchaus net, gar keine Red. Wie sollt die Polizei dann den Halunken erwischen, wenn ich tat, wie der Herr Kommissär will. Still bin ich net, und der Lump muß in den Kotter, sonst gibt’s überhaupt gar keine Gerechtigkeit mehr. Ich bin eine ehrliche Person, und die Polizei ist dafür da, daß sie mir hilft. Sonst..."

„Rede Sie, wenn Sie gefragt wird“, fuhr der Kommissär mit ärgerlicher Ungeduld zwischen ihren Wortschwall, „wenn Sie da aber randaliert, laß ich Sie abführen."

„Was? Abführen? Das war net schlecht. Dafür, daß bei mir gestohlen worden ist, sollt ich noch in Arrest? Das wäre eine saubere Gerechtigkeit. Da sollt die Polizei gleich noch dem Gauner eine Belohnung geben, daß er mir die Ehr geschenkt hat und in meiner Speiskammer einen Besuch macht. Vielleicht ladet sie ihn gleich für ein anderes Mal ein? Das wär mir eine nette Polizei...“

Da verstummte Herr von Tauff vor der heftig gestikulierenden Gewalt, hörte geduldig und beinahe demütig einen ganzen Roman an, der sich in der Hauptsache um mehr als nur anhörenswerte Dinge drehte, nämlich um frischgebackenes Brot, frischgerührte Butter, Salamifragmente, Würste, Gebäck, zwei Flaschen Wein und — einen Strohkorb. Er empfing von der redegewandten Frau, die er mit vielem diplomatischen Geschick endlich auf eine Bank im Hintergründe gedrängt hätte, völlig in Unkenntnis darüber, daß sitzende Frauen noch gefährlicher sind als stehende, einige sehr ernstgemeinte Fachbelehrungen: wie man das Geständnis des Diebes erreichen könnte... wie man ihn zu verdonnern habe... wieviel Wochen Dunkelkabinett samt dem wohlgezählten Viertelhundert auf das Sitzfleisch er bekommen müsse und dergleichen... Blieb nur eines: Wer war der feinschmeckerische Dclikatessendieb, und in welchen Wind hatte er sich gewendet? Das war nämlich die einzige Frage, auf welche die Traubenwirtin keine Antwort zu geben vermochte; sonst aber hatte sie Gottes Allwissenheit gepachtet.

Mit einer grausamen Schadenfreude erwartete Herr von Tauff seinen Wachtmeister Nepomuk Nagele. Das Schauspiel, wie der die aufgescheuchte Wirtin niederbügeln würde, sollte ihn für alle Drangsal dieser endlos langen Viertelstunde mehr als reichlich entschädigen. Und in diese Hoffnung verkroch er sich vor der unheimlichen Beredsamkeit dieses Weibsbilds, bis der sehnsüchtig herbeigewünschte Nepomuk Nagele mit dem Instrumentenmacher kam.

Dann aber zwinkerte der Herr Kommissär dem ausführenden Organ sehr vertraut und ermunternd zu, was dessen Bereitschaft und Amtswürde so sehr ins Ungemessene steigerte, daß er sich einem vollzähligen Landstreicherbataillon gewachsen gefühlt hätte, geschweige einem Frauenzimmer, das da in dem dämmerigen Hintergründe der Stube stand und offenbar seiner Amtshandlung Vorbehalten zu sein schien.

(Fortsetzung folgt)

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