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Der Demolierer geht um

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Es vergeht kaum eine Woche, ohne daß nicht mindestens eine Hiobsbotschaft die Spalten unserer Zeitungen füllt: Immer öfter werden in Österreich unüberlegte, übereilte, ja geradezu gedankenlose Vorhaben realisiert, die einer „Selbstverschan-delung“ gleichen. In alten Städten, historischen Märkten und Dörfern wurden höchst fremd aussehende, monströse Hochhäuser errichtet, landschaftlich schöne Seeufer werden parzelliert und beginnen sich mit Weekendhäuschen zu „ver-krätzen“, dichte Spinnwebnetze von Stromleitungen, Drähten, gespenstischen Masten und häßlichen Lichtpeitschen verschandeln unsere Orte. Wände ehrwürdiger Bauten werden von Werbetafeln und Schaukästen verunstaltet; viele Flüsse und Seen sind bereits verölt oder mit Industrieabwässern vergiftet, wertvolle Baudenkmäler verfallen oder aber verenden unter der Spitzhacke,

prachtvolle Baumbestände und Parkanlagen fallen unüberlegten Verkehrsprojekten zum Opfer, entzückende Stuckfassaden alter Häuser werden im Zuge sogenannter „Modernisierung“ abrasiert, unzählige Wegkapellen, Bildsäulen und Marteln zerfallen infolge mangelnder Pflege und verschwinden für immer, unglücklich plazierte Verkehrstafeln verunzieren unsere Kunst- und Bauwerke, unüberlegte Flußbegradigungen und -regulierun-gen sowie einige Stauseen vergewaltigen die Urlandschaft und tragen zur Verödung des Landes bei. Ein Teil unserer großartigen Gebirgs-welt sinkt immer mehr zu einem Amüsierzirkus des Fremdenverkehrmassenwahns ab, vieles vom traditionellen Brauchtum verflacht zum Kitsch oder lukrativen Touristenspektakel. Diese Liste der Sünden ließe sich noch lange fortsetzen. Immer gewagtere Gewalttaten, Pro-

visorien und tausenderlei unüberlegte, später kaum mehr gutzumachende Fehlentscheidungen treten an die Stelle gutfundierter Planung. Ein wenig mehr Rücksicht auf die Umgebung, die Pracht der Natur und mehr Ehrfurcht vor dem Überlieferten und den Werken unserer Vorfahren könnten hier wahre Wunder bewirken.

Das längst veraltete und den Erfordernissen unserer Zeit kaum mehr entsprechende Naturschutzgesetz, das Denkmalschutzgesetz und die dringend reformbedürftige Bauordnung sind hauptsächlich schuld daran, daß die schändlichsten Projekte und Ideen gewissenloser Spekulanten und Profitgeier noch immer fast ohne Widerstand verwirklicht werden können. Dazu kommt noch, daß auch die in unserem Staatshaushalt für die Erhaltung und Pflege von Kultur- und Naturwerten bestimmten Geldmittel erschreckend niedrig gehalten sind.

So erfreulich der hohe durchschnittliche Lebensstandard heute in Österreich ist, auf die Dauer wird der Wohlstand uns doch keine Freude machen, wenn wir nur trachten, das verdiente Geld allein der Erfüllung von Konsumbedürfnissen, aber nicht den kulturellen Belangen zuzuführen. Lassen wir uns inspirieren von anderen Ländern, insbe-sonders der Schweiz, wo strenge Heimatschutzaktionen durchgeführt werden, in deren Rahmen jedes Jahr einige Orte gründlich von artfremden Veränderungen und Entstellungen entrümpelt, Denkmäler der Architektur, der Kunst und der Geschichte restauriert und Verbote für gedankenlose Verbauungen und Überbauungen erwirkt werden.

Es ist hoch an der Zeit, daß auch bei uns — vor allem durch neue Gesetze — jenen „Selbstverschandlern“ das Handwerk gelegt wird, die gerade das verunstalten, entheiligen oder zerstören, was unser Land schön, anmutig und wertvoll macht und was besonders die Ausländer bei uns suchen und schätzen. Der Schutz unserer Kultur- und Naturwerte ist keinesfalls Schwärmerei für die gute alte Zeit, sondern ein Streben nach einer vernünftigen und sinnvollen neuen Zeit, die in der Lage ist, materielle Güter zu ideellen Werten und Zivilisation zu Kultur umzuwandeln.

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