Saint-Exupéry - © gettyimages / Harlingue / Kontributor

Der gar nicht sanfte Antoine de Saint-Exupéry

19451960198020002020

Vor 75 Jahren kehrte der Schriftsteller und Pilot Antoine de Saint-Exupéry von seinem letzten Flug nicht mehr zurück. Johannes Nestroy begibt sich in seinem Roman "Über dem Meer" auf die Spur dieses sperrigen Charakters.

19451960198020002020

Vor 75 Jahren kehrte der Schriftsteller und Pilot Antoine de Saint-Exupéry von seinem letzten Flug nicht mehr zurück. Johannes Nestroy begibt sich in seinem Roman "Über dem Meer" auf die Spur dieses sperrigen Charakters.

Werbung
Werbung
Werbung

Antoine de Saint-Exupéry, der Schriftsteller, der sich liebevoll des kleinen Prinzen angenommen hat, ist nur die eine Seite dieser Persönlichkeit. Er fordert Menschlichkeit ein, steht für Toleranz und Liebe und guten Willen und ­findet dafür märchenhafte Worte. Wir kennen Saint-Exupéry auch als Piloten, der im Zweiten Weltkrieg ­Aufklärungsflüge absolvierte und auf der richtigen ­Seite stand. Er hatte Verbindungen zur Résis­tance, stand zu seinen Ansichten von einer idealen Gesellschaft, für die Vertrauen einen unangreifbar hohen Stellenwert einnimmt. Was er Kindern so charmant zu übermitteln versteht, vertritt er in der Erwachsenenwelt unnachsichtig bis zur Härte.

Mit de Gaulle, der die „Freien Französischen Streitkräfte“ anführte, hatte er seine Probleme, weil er ihn als Machtpolitiker allzu rücksichtslos handeln sah. ­Enger Kontakt aber bestand zum Schriftsteller ­Jean Prévost, der aus dem Untergrund den Kampf gegen die deutschen Besatzer aufnahm. Prévost fühlte sich ­Saint-Exupéry verpflichtet, war er doch der Erste, der sich Saint-Exupérys als Schriftsteller angenommen hatte und ihn in seiner Zeitschrift veröffentlichte. Als Schriftsteller verkörperte er einen ganz anderen Typus als Saint-Exupéry, fällt doch seine Literatur am ehesten unter die Rubrik Neue Sachlichkeit. Prévosts Roman „Das Salz in der Wunde“ wurde auf Deutsch vor wenigen Jahren neu übersetzt aufgelegt.

Navigator

Liebe Leserin, lieber Leser

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.

Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.

Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

Sturkopf und Querdenker

Johannes Nestroy lässt den „Kleinen Prinzen“ links liegen, das literarische Werk spielt in seinem Buch überhaupt keine wesentliche Rolle. Briefe aber, die über dokumentarischen Wert verfügen und uns etwas über die Verfassung Saint-­Exupérys mitteilen, stoßen bei ihm auf dankbares Interesse. Nicht an der öffentlichen Person, die sich Rollen aneignet, um in Gesellschaft zu posieren, ist ihm gelegen, sondern am Sturkopf und Quer­denker. Saint-Exupéry, der Träumer, dieses Bild pflanzt uns Nestroy ins Bewusstsein. Als Kind ist er schon begeistert vom Fliegen, ein Tüftler und Spintisierer, nicht ganz von dieser Welt, er lebt im Wolkenkuckucksheim, gefördert durch eine Umgebung, die ihm jeden Spielraum lässt. Früh ist angelegt, was den Erwachsenen ausmachen soll: Er liebt das Fliegen, wozu die Einsamkeit gehört, die einer nicht nur aushalten, sondern auch schätzen muss. Und er bleibt der ewige Träumer, der sich in seiner eigenen Welt einnistet, die ihm verlockender und brauchbarer erscheint als die, die ihn mit Regeln und Normen konfrontiert. Das macht ihn autoritätsresistent.

Johannes Nestroy lässt den ‚Kleinen Prinzen‘ links liegen, das literarische Werk spielt in seinem Buch überhaupt keine wesentliche Rolle.

Johannes Nestroy ist im Jahr 2013 auf einem Landgut in der Auvergne Einsicht in den unveröffentlichten Briefwechsel zwischen Saint-Exupéry und Hélène de Vogüé gewährt worden. Die siebzehn Briefe und zwei Postkarten erweisen sich deshalb als besonders wertvoll, weil der Verfasser in Hélène de Vogüé eine Vertraute gefunden hat, der er sich auch in seiner kritischen politischen Haltung als Zweifler öffnen durfte. Den Widerwillen über fahrlässig herbeigeführten „Heldentod“ schreibt er sich in aufgewühlten Worten von der Seele. Veröffentlicht hätten diese den Verfasser in Bedrängnis gebracht. „Als ob es nicht schon grausam genug wäre und das vorstellbare Maß an Lebens- und Menschenverachtung weit überschritten hätte, in wissender Voraussicht todbringende Befehle an uns auszugeben“, schreibt er im Mai 1944 an seine Gönnerin. „Nein! In den wenigen und beschämenden Worten des Nachrufs heißt es dann auch noch, wir Soldaten wären für Frankreich oder irgendeine andere Heimat gefallen ... Mir wird speiübel, sooft ich das höre!“ Die hoch gebildete und frei denkende Nelly, wie er sie nannte, entstammte ­einer Industriellenfamilie und heiratete einen Unternehmer. 1949 veröffentlichte sie ­unter dem Pseudonym Pierre Chévrier eine Biografie Saint-Exupérys.

Literarisch-historisches Denkspiel

Johannes Nestroy hat kein Sachbuch geschrieben, sondern einen Roman. So schafft er sich größeren Gestaltungsfreiraum und muss nicht jeden Satz durch Dokumente beglaubigen. Das zentrale Kapitel beschäftigt sich mit dem 31. Juli 1944, dem Tag, an dem Saint-Exupéry von einem Aufklärungsflug nicht mehr zurückkehrte. Nestroy hat uns darauf vorbereitet, dass wir es im Fall von Saint-Exupéry mit einem sperrigen Charakter zu tun haben, deshalb passt es zu ihm, dass er sich an militärische Befehle nicht zwingend halten wollte. Nestroy erzählt von einem Mann des Gewissens, dem das Leben von Widerstandskämpfern mehr wert ist als die Vorgaben einer Obrigkeit, die mit Menschenleben spielt und sie leichtfertig opfert. Eine Ankündigung, die er Nelly offenbart, macht hellhörig: „Ich werde eingegangenen Verpflichtungen und meinem militärischen Auftrag erstmals nicht nachkommen.“ Er rechnet damit, dass sein eigenwilliges Vorgehen „in einigen, leider sehr mächtigen politischen Kreisen unseres Landes auf Ablehnung und Empörung stoßen“ wird. Wie also sieht Saint-Exupérys renitentes Verhalten aus? Nestroy meint, dass ihm der Aufklärungsflug zu unbedeutend vorkam und er stattdessen Jean Prévost und eine Funkerin an Bord genommen hatte, die sonst wohl von den Nazis aufgegriffen und ermordet worden wären.

Können wir das glauben? Die ­Geschichte ist möglich, sogar plausibel, aber nicht notwendig richtig. Tatsache ist, dass die offizielle Version, wonach Jean Prévost am 1. August 1944 von den Besatzern erschossen worden sein soll, nicht stichhaltig ist. Es fehlt die eindeutig identifizierte Leiche. Als Denkspiel für die Geschichte mit hohem Wahrscheinlichkeitsgrad taugt der Roman von Johannes Nestroy in jedem Fall.

Über dem Meer - © Braumüller
© Braumüller
Buch

Über dem Meer

Von Johannes Nestroy

Braumüller 2018

120 S., geb.

€ 18,–

Anton

Thuswaldner

Der Autor ist Literaturkritiker.

Navigator

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung