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Der Spiegelkarpfen

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Zu Mittag sollte es einen Spiegelkarpfen geben.

In der Frühe kaufte die Köchin am Markt einen gewaltigen Spiegelkarpfen, der drei Kilo wog, zu acht Pengö.

Späterhin entschloß sich die Frau des Hauses anders. Sie bestimmte, daß man ihn erst zum Abendessen zubereiten sollte, und zwar in Paprika. Inzwischen hatten sich nämlich Gäste für den Abend angesagt.

Als die zwei Jungen — der eine aus der dritten Elementarklasse, der andere aus der ersten Gymnasium — aus der Schule nach Hause kamen und draußen in der Küche, in der Basttasche der Köchin, zwischen dem Grünzeug den Spiegelkarpfen entdeckten, war er in Zeitungspapier eingewickelt.

Seine offenen Augen blickten starr. Doch die Augen des Fisches sind immer offen, immer glasig, gleich denen von Sterbenden oder Toten.

Er aber lebte noch.

Wenn man ihn berührte, zappelte er, schlug mit dem Schwanz um sich, sperrte das Maul auf.

Und sdion trachteten sie, ihn zu beleben. Der Kleine wollte — wie ein

Retter — künstliche Atmungsversuche zur Anwendung bringen. Doch der Größere füllte bei der Wasserleitung eine Schüssel und ließ ihn hineingleiten.

Der Spiegelkarpfen atmete glücklich tief auf mit seinen vertrockneten Kiemen. Er bewegte sich unsicher, stieß gegen die glatten Wände der Schüssel an. Er fand sein Reich etwas eng. Es schien, als ob er sich ein wenig wundere.

Nach dem Essen stahlen sich die Knaben in das Badezimmer. Sie ließen in die weiße, emaillierte Wanae Wasser fast bis zum Rand ein, brachten insgeheim die Schüssel herein und schütteten ihren Inhalt — zugleich mit dem Fisdi — in die Wanne.

Der Fisch begann in seiner wiedergewonnenen Freiheit dahinzuschießen; er ließ sich auf den Grund sinken, stieß wieder hinauf an die Oberfläche, drehte und wandte sich, schoß Purzelbäume, tollte herum in seinem geliebten Element. Sein silbernes Panzerhemd, seine schimmernde heldische Wehr,'leuchtete im Schein des elektrisdien Lidites. Er fühlte sich hier ganz wie der Fisch im Wasser.

Woran gemahnte er? Die Kinder kamen darauf, daß er am ehesten an jenen aufziehbaren Blechfisch erinnere, mit dem sie vor Jahren während eines Sommeraufenthaltes am Plattensee gespielt hatten.

Zur Jausenzeit baten sie ihre Mutter, daß sie ihn wenigstens bis zum anderen Morgen nicht töten lasse. Sie hatten Glück. Die Gäste telephonierten nachmittags ab. So ging auch das Abendessen ohne Unfall vorüber.

Des anderen Tages brachten sie vor, sie würden gerne beobachten, wie ein Fisch des Nachts sdiliefe. Am dritten Tag studierten sie die Ernährung: sie warfen Brotkrumen, Orangenschalen und Dattelkerne in die Wanne und warteten, was er aufessen würde. Am vierten Tag war Sonntag, ihre Freunde kamen, sie erregten mit ihren Ping-Pong-Schlägern im Wasser einen künstlidien Sturm, sie zogen an der Brause, damit sich der Fisch in einem sommerlichen Gußregen fühle, sie brachten auch ihr Grammophon und gaben ihm zu Ehren ein Konzert.

Von Tag zu Tag entwaffneten sie die Eltern mit neuen Geschichten wie nur die Odaliske den blutdürstigen Kalifen. Sogar einen Namen hatten sie bereits dem Spiegelkarpfen gegeben. Sie nannten ihn Fritzi.

Nach zwei Wodien war ihre Mutter schon wütend. Ihr Badezimmer roch wie eine Konservendose. Einmal, als sie badete, heftete sich an ihr Haar ein ekler, schleimiger Fischauswurf.

Morgens, wenn die Jungen badeten, mußte das Zimmermädchen Fritzi in die Schüssel geben, dann die Wanne auswaschen, frisdies Wasser einlassen und den Fisch in seinen Wasserbehälter zurückgeben. All dies war äußerst umständlich. Die Köchin wetzte ihr Messer.

Da schlug der kleine Junge vor, man möge den Fisch freilassen. Dodi wohin mag schon der ortsunkundige Fisdi gelangen, den man auf der Ringstraße aussetzt?

Der Größere bat den Vater, man möge ihn in die Donau zurückwerfen, aus der man ihn herausgefangen habe. Dieser Vorschlag siegte. An einem nebligen Herbstabend zog der Vater mit seinen zwei Söhnen los. Nachdem sie von Fritzi herzbewegenden Abschied genommen hatten, legten sie ihn in die gleiche Einkaufstasche, in der er hergebracht worden war. Die Einkaufstasche schleppte der kleinere Junge.

Mitten auf der Kettenbrücke blieben alle drei stehen. Sie berieten, wer von ihnen Fritzi hineinwerfen solle. Der Kleinere versuchte, ihn aus der Tasche herauszunehmen. Doch rutschte er ihm dauernd aus der Hand.

Bereits hatte sich um sie ein Kreis von Neugierigen gebildet. Diese verstanden es nicht, wie, zum Teufel, man einen Fisch in der Donau aussetzen könne, wo sich doch so viele Fische befanden. Es fanden sich auch solche, denen das Ganze verdächtig vorkam. Ist es doch üblich, die verräterischen Zeichen eines Verbrechens in der Donau verschwinden zu lassen.

Der Vater herrschte den älteren Sohn nervös an, er möge schon das räudige Aas ins Wasser werfen. Dieser nahm, seine ganze Willenskraft zusammen, packte den Fisch und warf ihn in die dunkle Tiefe hinab.

Jetzt sahen ihm die Kinder, auf das Brückengeländer gestützt, minutenlang nach. Sie hörten, wie er ins Wasser plumpste, sahen den matten Schein seiner Schuppen und sahen sogar, wie er sich mit seinen Kindern traf und flink auf sie zuschwamm.

Sie schlenderten nach Hause mit der leeren Einkaufstasche. Sie sprachen kein Wort. Es tat ihnen leid um den Fisch.

Auch ihr Vater sprach nichts.

Es ging ihm durch den Sinn, daß dieses Abenteuer — von allen anderen Unannehmlichkeiten abgesehen — auf ganze acht Pengö zu stehen kam. Ob man aber wohl für acht Pengö ein solch fabelhaftes Spielzeug bekommen könnte?

Auch der Gedanke, daß seine Jungen so gutherzig seien, machte ihn glücklich. Die beiden glaubten heilig, daß sie dem Fisch endgültig das Leben gerettet hätten. Es kam ihnen nicht in den Sinn, daß man ihn früher oder später wieder herausfangen und am Markt verkaufen und dann — nach diesem kleinen Gastspiel — ihn doch nodi gebacken oder in Paprika gedünstet auftragen würde.

Seither wurde er zweifellos von anderen verspeist.

Nicht von ihnen. Denn sie kauften keinen Spiegelkarpfen mehr. Aus dem Ungarisdien übersetzt von St. P o-glayen-Neuwall

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