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Der Sturm auf das Palais

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Die Kundgebung der katholischen Jugend war mehr, als die NSDAP zu dulden bereit war. Zu einem Zeitpunkt, da der „Größte aller Deutschen“ einen neuen Welterfolg erzielen konnte und das Sudetenland heim ins Reich geführt hatte, wagten es österreichische Jugendliche, der Kirche und ihrem Bischof Treue zu schwören, ja den Führer des Groß- deutschen Reiches mit dem Ruf: „Wir wollen unseren Bischof sehen!“ lächerlich zu machen. In den Augen der Nationalsozialisten konnte es nichts Schlimmeres geben, für sie war dies der politische Katholizismus in Reinkultur, dem eine Lektion erteilt werden mußte. Sie erfolgte am nächsten Abend in Form eines Überfalls auf das Erzbischöfliche Palais. Ein Augenzeuge, Dr. Weinbacher, schildert den Vorgang:

„Ich saß etwa üm 20.15 Uhr mit meinem Kollegen Zeremoniär Doktor Franz Jachym in meinem Zimmer, das seine Fenster gegen den Hof zu hat, und plötzlich hörten wir vom Stephansplatz her durch die geöffneten Fenster aufgeregte Rtafe und Sprech chöre, im nächsten Augenblick auch schon Klirren von Fensterscheiben. Gleich darauf telephonierte mir Seine Eminenz: Auf dem Stephansplatz ist eine Menge Jugendlicher versammelt, sie schlagen uns die Fensterscheiben ein. Rufen Sie die Polizei! Ich bestätige den Polizeinotruf und erhalte die Antwort: Wir kommen. Dann begebe ich mich in das Zimmer Seiner Eminenz; auf dem Wege über den Hof höre ich das Schreien, und gleichzeitig vernehme ich starke Stöße gegen das Tor Nummer sieben. Ich höre Rufe ,Horuck’, dann ein Krachen und Splittern und darauf ein Triumphgeschrei. Sie sind eingedrungen.

Die Demonstranten stürmen schreiend in den Hof, zertrümmern, was ihnen in den Weg kommt. Wir dirigieren die geistlichen Schwestern auf den Dachboden und weisen sie an, sieh dort zu verstecken. Den Kardinal bringen wir in Sicherheit in das Matrikelarchiv und verschließen hinter ihm die eiserne Tür, dann nehmen wir zwei Priester, die wir uns einer Menge von Eindringenden gegenübersehen, Aufstellung vor der Hauskapelle des Kardinals, um wenigstens hier eine Zerstörung zu verhindern. Kurz nachdem wir bei der Kapelle angelangt sind, stürmen auch schon Eindringlinge die Räume des Kardinals, an die die Kapelle angrenzt. Gleich bei der Türe wehren wir sie ab, Holzstücke fliegen in die Kapelle herein, ich erhalte einen Stoß, daß ich stürze, doch können wir den Eintritt in die Kapelle verwehren.

Die Demonstranten sind Jugendliche im Alter von 14 bis 25 Jahren, etwa hundert an der Zahl. Nachdem wir den ersten Druck abgewehrt haben, öffnen wir den Tabernakel und konsumieren die heiligen Hostien, um das Allerheiligste vor Verunehrung zu schützen. Inzwischen geht in den übrigen Räumen eine Zerstörungswut, die nicht zu beschreiben ist, gegen alle Einrichtung vor sich. Mit den Messingstangen, die den Teppich im Stiegenhaus halten, zerschlagen die Burschen Tische und Stühle. Luster und Bilder, besonders alle Kreuze, Die Spiegeltüren der Kapelle, die großen Schmuckspiegel, die Glasscheiben der Bücherschränke, alles wird kurz und klein geschlagen. Während wir im Handgemenge sind, glaubt mein Kollege den Ruf zu hören: Kardinal entdeckt. Er sucht sich durchzuschlagen, kommt aber flicht durch die Räume, vielmehr erhält er mit einem Bronzeleuchter einen Schlag auf den Kopf. Ich werde von etwa sechs Leuten aus der Kapelle gezerrt und durch das Vorzimmer zum Fenster geschleift, das auf die Rotenturm- straße geht. ,Den Hund schmeißen wir beim Fenster außi!1 Ich konnte mich doch durch äußerste Kraft- anstrengung gegen das Hinauswerfen wehren. Ich kann mich auch losreißen und eile zur Kapelle zurück, wo sich ein Bursche gerade beim Altar zu schaffen macht. Dann ertönt auf einmal der Ruf: ,Zurück, Polizei kommt! Die Eindringlinge stürmen davon. Ein Polizist kommt, dann wieder einer, aber die Demonstranten können ungehindert das Palais verlassen. Zwischen dem ersten Notruf und dem Eintreffen der Polizei waren gut vierzig Minuten vergangen. Wir holten dann Seine Eminenz aus dem Versteck und brachten ihn in seine zerstörten Räume.

Inzwischen hatten andere Demonstranten einen Angriff auf das Haus der Dompfarre, Stephansplatz 3, unternommen und dort den Dom- kuraten Krawarik aus dem Fenster in den Hof geworfen. Mit einem beiderseitigen Oberschenkelbruch lag dieser Priester bis Februar im Krankenhaus.“

Dias der Bericht Dr. Weinbachers. Der Wiener Polizeipräsident, Doktor Steinhäusl, schon als Polizeivlzeprä- sidemt während dar Dollfuß-Ära illegales Parteimitglied, saß während des Überfalls im Cafe de l’Europe und wartete mit dar Uhr in der Hand den Ablauf dar festgesetzten Zeit ab, ehe er Befehl zum polizeilichen Eingreifen gab. Die Parolen der Palaststürmer lauteten: „Nach Dachau mit dem Schlawiner“, „In Schutzhaft mit dem Hund“, „Lieber Bischof sei so nett, zeige dich am Fensterbrett“. Aus der Wohnung des Kardinals wurden alle Kleider, das Bischofskreuz und zwei Ringe gestohlen. 1200 Fensterscheiben gingen in Scherben. Am nächsten Ta, photographierte und versiegelte die Gestapo die zerstörten Räume und riegelte das Palais ab. Niemand durfte hinaus, niemand durfte hinein. Öle Anwesenden mußten eine Erklärung unterschreiben, daß sie über die Ereignisse nicht» verlauten lassen würden.

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