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Digital In Arbeit

Der verspielte Mensch

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"Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.” (Schiller)

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"Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.” (Schiller)

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Als verspieltes Kind kann ich seit langem nicht mehr gelten - obwohl das Kind im Manne angeblich erst mit ihm zusammen stirbt. Wie kommt es also, daß ich bei Karten, beim Rätselraten, beim Wortspiel Scrabble oder am Roulettetisch länger aushalten kann als an der Schreibmaschine? Nun, Spiele sind spannend und unterhaltsam - aber meine Arbeit ist auch nicht ganz langweilig, ein spannendes Spiel mit Gedanken ist auch dabei ... Wahrscheinlich liegt es daran, daß Spielen eine zweckfreie Tätigkeit ist, zu der mich nichts und niemand zwingt, und für die ich nicht bezahlte werden, im Gegenteil, ich kann noch mein Geld verlieren. Beim Spielen bin ich frei und alle Notwendigkeiten des Lebens sind mir schnuppe.

Es ist gesetzlich und behördlich bestätigt: für die Arbeit zahlt man Einkommen- und Mehrwertsteuer, auch wenn sie vergnüglich war, fürs Spielen wird oft die Vergnügungssteuer erhoben, auch wenn man dabei anstrengend gearbeitet hat.

Zur Arbeit werden die Menschen seit jeher angetrieben, Spiele und Spieler seit jeher verfolgt. Der Denker-Senior Alfons Silbermann sagt in seiner soeben erschienenen soziologischen Studie zum Automatenspiel in Deutschland „Das verpönte Vergnügen”, dies käme davon, daß „das Spiel erzeugt nichts - weder Güter noch Werke. Es ist seinem Wesen nach unfruchtbar.” Klar, auch das Sexspiel wurde und wird verpönt, sofern es nicht der Fruchtbarkeit dient — wer möchte es aber aufgeben?

Den Gedanken, den Schiller formulierte - „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt” - äußerten fast zwei Jahrtausende vor ihm die alten Römer. Vor fünfundfünfzig Jahren charakterisierte der niederländische Kulturhistoriker Jan Hui-zinga den Menschen als „spielenden Menschen” - „Homo ludens”. Und diese Charakteristik steht zumindest gleichberechtigt in einer Reihe mit dem „Homo faber” - arbeitenden Menschen und „Homo sapiens” -denkenden Menschen. Wobei man zu der letzteren Bezeichnung einige Zweifel anmelden könnte.

Ich fühle mich durch diese Autoritäten bestätigt und freue mich, daß ich doch manchmal „ganz Mensch” bin, wenn ich mich, wie die Tschechen sagen, „an einer gekochten Nudel” von der Arbeit zum Spielen wegschleppen lasse. Auch wenn mich das vielleicht einige nichtge-schriebene Bücher kostet.

Das ist eben das Argument, das alle spielverderberischen Verfolger der Spieler ins Feld führen ... die Kosten: Zeitvergeudung, Arbeitsausfall und das eventuell verlorene Geld. Natürlich, jeder Spaß kostet was. Es gibt kein Spiel ohne Einsatz, auch bei den Spielen des Lebens nicht. Kein Glücksspiel, außer des selbstmörderischen russischen Rouletts, verlangt einen so hohen Einsatz wie jenes, das wir „Karriere” nennen. Keines hat so harte Regeln und keines macht so oft und so schwer „süchtig”, wie eben das Karrierespiel. Man kann sich von ihm nur durch wirkliche, zweckfreie Spiele ablenken.

Jedes Spiel kann „süchtig” machen, vom Liebesspiel bis zum Brief -markensammeln. Man macht es aber vor allem den Automatenspielen zum Vorwurf. An Computer und Automaten spielen meistens junge Leute, die halt leidenschaftlicher sind als die Alten. Wenn jemand von ihnen „süchtig” wird, wird er es aber nicht vom Spiel, sondern von den Umständen, derentwegen er so verbissen spielt. Ob es Lebens-Schwierigkeiten sind, oder der verzweifelte Versuch, zu Geld zu kommen.

Da hört aber das freie Spiel auf, ein „Süchtiger” ist kein wirklicher Spieler mehr. Und kein Spielverbot kann vor einer „Sucht” schützen, weil es ihre eigentlichen Ursachen nicht beseitigt. Spiele sind fürs Vergnügen da. Wenn ich aus dem Casino komme, fühle ich mich wohl, komischerweise auch dann, wenn ich verloren habe. (In diesen Fällen gehe ich dann eifriger an die Arbeit.) Ich war ja zum Spielen da und spielte -ganz Mensch. Geld verdienen hätte ich an der Schreibmaschine besser gekonnt, vor allem sicherer.

Ich bleibe bei meiner Meinung: Wer nicht spielt, egal ob mit oder ohne Geld, verspielt ein Stück Leben.

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