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Die Plünderung Roms

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(Schluß)

Auf den eingelegten Marmorfußböden des Vatikans zündeten die Söldner offene Feuer zum Abkochen an. Sie zerschlugen die herrlichen Glasgemälde der Kirchenfenster, um aus den Fassungen Blei zum Kugelgießen zu gewinnen. Die Teppiche Raffaels erklärten sie als gute Beute, stachen im Übermut des Rausches den Heiligen der Wandgemälde die Augen aus und machten die Sixtina zum Pferdestall. Weil es an Streu fehlte, wurden den Rossen zerfetzte kostbare Pergamente untergeworfen.

Die Maler Peruzzi und Rosso waren nebst anderen Künstlern in Rom eingeschlossen. Auch Michelangelo, der erst seit zwei Wochen wieder in der heiligen Stadt weilte, als der nächtliche Überfall alle dem Feind auslieferte, fand keine Gelegenheit mehr, sich in Sicherheit zu bringen. Zwar war sein schlichtes Haus am Marcel di Corvi bis jetzt verschont geblieben. Aber eines Tages brach ein Haufe trunkener Söldner auch hier ein. Die Schnapphähne schnitten seinen Hühnern den Kopf ab, zogen zwei Maultiere aus dem Stall, um sie mit Beute zu beladen, und rannten die Tür des zweiten Stalles ein, drin Michelangelos türkisches Leibroß stand. „Gute Beute!“ gröhlte der erste und wollte sich des feurigen Tieres bemächtigen. Aber der Vollbluthengst, durch den Höllenlärm wild geworden, pfefferte mit beiden Hinterbeinen zugleich aus und zerschmetterte dem Eindringling den Brustkasten, so daß der Kerl sterbend an die Wand flog. Da verschoben die anderen die Bändigung des Hengstes für später und drangen gröhlend rn die Werkstätte. Weil sie aber in ihrer Trunkenheit nichts fanden, was des Mitnehmens wert schien, ließen sie ihren Rausch an den halbfertigen Marmorfiguren aus und versuchten sie umzustürzen. Schon hatte ein pockennarbiger Kerl das Wachsmodell einer Siegesgöttin durchs Fenster geworfen, daß die Glassplitter herabklirrten. Ein anderer, dem eine breite, wulstige Narbe vom zerhauenen linken Ohr bis zur Knollennase lief, trat mit seinen schweren Reiterstiefeln ein Stuckmodell zu weißem Pulver und entzündet«; so den Übermut der anderen. Ein dritter, der noch mehr leisten wollte, suchte den gewaltigen

Block umzustürzen, aus dem Moses drohend das Haupt hob. Zwei, drei, vier halfen dem keuchend sinnlos sich Abmühenden. Der überschwere Block regte sich nicht. Einer holte mit der Hellebarde nach dem Herr-sdierhaupt von Moses aus. — — Da — — ein Sprung, ein Schrei der Empörung, und eine Faust, nerviger und sehniger noch als die des Söldners, entriß ihm von hinten die Hellebarde und warf sie zu Boden. Im letzten Augenblick hatte sich Michelangelo im Gewalthaiifen der Missetäter Bahn gebrochen. Trunkene taumelten von seinen wilden Stöße zur Seite und kollerten im Marmorstaub. Ein Wutschrei erhob sich. Michelangelo packte mit raschem Griff den schwersten Hammer und stand schirmend vor seinem Werk, bereit, jedem den Schädel zu zerschmettern, der es wagen würde, die Frevlerhand an den Halbgott zu legen.

„Her! Her! Her!“ hetzte lärmend der Aufruf der Trommel.

Von hinten umklammerte einer den rettungslos Verlorenen und warf ihn so wuchtig zurück, daß er einem breiten, bärtigen Manne vor die Füße fiel, den der Lärmruf der Trommel herbeigerufen hatte. — In demselben Augenblick ein erregter Meldeschrei, der alle durchfuhr: „Achtung! Frundsberg, unser oberster Feldhauptmann!“

Einer aber, dessen heisere Stimme sich vor Aufregung überschlug, stieß den Lärmruf aus:

„Reiter zum Pferd! Sattel zum Zaum! Dran! Dran! Dran!“

Schon schien es, als wollten die Wütenden sich rachsüchtig wieder auf den Überfallenen werfen. Aber Frundsberg schrie mit einer Zornstimme, die ihnen allen den Rausch austrieb, den Lärmenden an: „Vergatterung! — Runter die Fäuste oder ich lasse euch alle Spießruten laufen. Du da! Bist du nicht der Bräuwastl aus Mindelheim, der mir früher das Märzbier auf die Burg brachte? Rottmeister willst du sein und sorgst so für die Ordnung? Wastl, steh Red': Warst du nicht mein bester Mann im verlorenen Haufen?“

„In Zucht und Ehren, Feldhauptmann. Dreißigmal war ich der Erste beim Sturmlauf!“

„Doch zu Fünfzig wie Werwölf herzufallen über einen Einspännigen, ist das fromme Landsknechtart? — — Du, Weiß-bäck, hilf dem Überfallenen auf die Beine!“

Aber das war nicht mehr nötig. Michelangelo, nur zu Anfang von der Wucht des Sturzes wie halbbetäubt, sprang auf und stand, den Hammer in der Faust, wieder schützend vor seinem Moses. Dann ein

Ausruf höchsten Staunens: „Wie--Was ist denn daaas?“

Jetzt erst sah Frundsberg, hoch aus dem unfertigen Block herausragend, den gewaltigen Kopf, sah den zwingenden Befehlshaberblick, der selbst ihn, den obersten Feldhauptmann, bannte, und trat betroffen einen Schritt zurück. „Mordsblitz! — Das ist aber Einer! Das ist wirklich Einer! Der hat die Gewalt! Der hat sie! Unter dem möchte ich oberster Feldhauptmann sein! — Und den, ihr frommen Landsknecht, wenn ich recht verstehe, den habt ihr vermole-stieren wollen? Merk dir, Rottmeister: Nie mehr hätt' ich dir die Ehr' angetan, dich als Ersten im verlorenen Haufen anstürmen zu lassen, wenn du den da mit den Bezwingeraugen verschimpfieren ließest!“

Entschuldigte der Rottmeister so fein als möglich seine Leute, mit denen er zusammenhielt auf Gedeih und Verderb: „Sie rasten nur so, weil der da, der Kerl mit dem Hammer, drei von uns geschmissen hat. Den wollten wir Mores lehren!“

„Mores will i c h euch lehren! Ihr seid doch meine ehrenfesten Landsknecht und keine Marodebrüder! Du aber, du, einer gegen alle: Wie heißt du?“

Michelangelo, der kein Sterbenswörtchen Landsknechtdeutsch verstand, sah den Zwingherrn der Werwölfe genau so grimmig an, wie es der steinerne Riese tat, und antwortete nicht eine Silbe.

„Welsch hab ich noch nicht gelernt; das klingt mir zu grauslich. Aber ist keiner unter euch, der seine Sprache versteht?“

„Hier, ich!“ rief ein Italiener, der brotlos geworden und des Soldes halber vor Pavia mit in den deutschen Gewalthaufen geraten war.

„So frag den MaAri, der da steht wie Thor mit dem Hammer, wer er ist!“

Der verlaufene Söldner tat es: „Deinen Namen will' unser Feldhauptmann wissen. Tus Maul auf, wenn dir dein Leben lieb ist!“

Der Mann mit dem Hammer, Asa Thor, sagte nur e i n Wort, sagte es mit Stolz in der klingenden Sprache seiner geliebten Heimat: „Michelangelo!“

„Michelangelo!“ rief Frundsberg freudig überrascht, stand achtungsvoll stramm vor dem Unsterblichen und griff huldigend an den Helm: „Landsknecht! Sperrt die Ohren auf: Der hier ist Michelangelo, der größte Künstler der Welt, von dem mir Albrecht Dürer in Nürnberg sagte, daß er vor ihm das Knie beuge. — Achtung! Rührt die Trommel! Hellebarden bei Fuß! — Vor diesem Michelangelo: Senkt die Hellebarden!“

Da senkten sich unter Trommelklang vor dem Unsterblichen die Hellebarden, und Frundsberg schüttelte dem Geretteten treuherzig die Hand. — Dann ein scharfer Befehl; „Rottmeister! Mit einer Zehntschaft deiner besten Leute als Wache bei Tag und Nacht ans Tor dieses Hauses! Ablösung alle zwei Stunden! Wer hier plündern will, den bringt mir gebunden zum Vatikan! — Führt die Maultiere wieder' in den Stall. Esel gibt's überall zu viele! Und dem Troß-

waibel laß den Befehl geben, daß er doppelt so viele lebende Hühner hieher schickt, als ihr gestohlen habt. Der Welsche bleibt hier. Ihr anderen: ab zur Engelsburg!“

So kam's, daß Michelangelo den Hammer niederlegen und sich durch den Welschen mit dem obersten Feldhauptmann verständigen konnte. Jeder Wunsch sei gewährt, ließ ihm Frundsberg, der ganz umgewandelt war, zuvorkommend sagen. Da erbat sich der Gerettete für den kommenden Tag bei sicherem Geleit freien Abzug aus Rom, und Frundsberg ließ sein Haus fortan strengstens bewachen.

Mit einem Ehrengeleit von zwölf Schwerbewaffneten ritt Michelangelo auf seinem türkischen Leibroß, geführt vom Bräuwastl aus Mindelheim, dessen Ansehen wiederhergestellt war, unbehelligt aus dem für ihn weit offenen Tor und brachte seiner Vaterstadt die Kunde, was sich in Rom zugetragen hatte.

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