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Die Sixtinische Madonna

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Eine ausländische Zeitung hat berichtet, daß Raffaels „Sixtinische Madonna“ von Dresden in das große Museum Eremitage in Leningrad überführt wurde.

Wie stand bei diesen wenigen Worten das Erinnern mächtig auf. Die Sixtinische Madonna! Tausende werden ihrer in Dankbarkeit und Treue gedenken. Es war das Bild nicht ein Heiligenbild im gebräuchlichen Sinn, auch nicht nur ein gewaltiges Kunstwerk. Es war die Schöpfung eines gottbegnadeten Meisters, das die Seelen aufreißen konnte und die Herzen im Tiefsten packte. Man hat sie auch die „Madonna der Ungläubigen“ genannt. Und wer je das Glück hatte,'sie zu sehen, in dem Raum, der nur erfüllt war von ihrer Gegenwart und fast sakrale Weihe hatte, der wird unter den vielen Besuchern aus aller Herren Länder Vertreter aller Religionen und Konfessionen getroffen haben. Und wer in den Gesiditern lesen konnte, der fand darin oft und oft nicht nur Kunstbegeisterung, sondern Ergriffenheit, Ehrfurcht, Vertrauen und Verehrung. Hier hat so mancher mit der

Mutter auch den Sohn gefunden.

Und wenn ich heute ihrer gedenke, so sehe ich sie an allen Meilensteinen meines Lebens. Immer groß, immer Wegweiser zur Höhe, zur Bereitschaft, zum Absoluten.

Dresden ist die Stadt meiner Kindheit, meiner Jugend. Und es ist wohl selbstverständlich, daß die Sixtinische Madonna davon nicht zu trennen ist. Schon in den Tagen der Kindheit war mir das Bild vertraut. Im Familienzimmer des protestantischen Elternhauses hatte es den Ehrenplatz und schon früh erzählte mir die Mutter von Maria und dem Christkind, das uns alle zum Himmel führen wollte. Voll Sdieu und Ehrfurcht habe ich schon damals zu der wunderbaren Frau mit den seltsamen dunklen Augen geschaut.

Es kam die Jugendzeit, da der Geist nach höchsten Idealen Ausschau hielt. Da führte mich der Vater zur Zwingergalerie und lehrte mich dort hohe Kunst verstehen und empfinden. Dort sah ich auch die Sixtinische

Madonna in ihrer ganzen Schönheit. Ich lernte Raffael Santi, den Schöpfer dieses berühmtesten Bildes der Kunstgeschichte, kennen, bewunderte noch andere seiner Werke, studierte die Geschichte seines Wirkens und seiner Zeit. Ich führte den Vater, als ihn schon die Todeskrankheit zeichnete, zum letzten Male zu „seiner“ Madonna, wie er so gerne sagte, und sah, wie sich sein hochfliegender Geist von neuem daran belebte. Dann sah ich ihn die Hände falten, und in seinen dunklen Augen stand der Ausdruck unendlichen Vertrauens.

Es kam die Zeit, da ein Sturm die Seele in ihren Grundfesten erbeben ließ, da der Kindheitsglaube wankte; da Neues, Wunderbares alles Denken und Sinnen erfüllte, da mir die katholische Kirche zum Erlebnis wurde. War es nicht selbstverständlich, daß es mich zu ihr zog? Und wahrlich, nicht hohe Kunst allein war's, was ich jetzt fand. Das war die Mutter des Sohnes Gottes, die das königlich-stolze und zugleich demütige Magnifikat singen konnte. In ihr nahmen all die Anrufungen Gestalt an, mit der das Volk in der lauretanischen Litanei zu ihr rief. Und die Augen! Sie schaute mich an, tief und still wie das Meer, das im Sonnenglanze ruht. Das waren Augen, die wissend blickten, die sich tief in die Seele senkten.

Ich veVstand nun die Legende, die sich um die Entstehung des Bildes rankte:

In der Kirche San Sixto in Piacenza war's... das Volk flehte: Du Zuflucht der Sünder, du Trösterin der Betrübten, du Hilfe der Christen ... Da neigt sich Mutterliebe dem Gebet der Kinder. Der Vorhang teilt sich, und von Wolken getragen schwebt Maria hernieder. Groß und gütig schaut ihr Auge zur Schar der Beter und verheißend trägt sie den göttlidien Sohn auf den Armen. St. Sixtus fleht zu ihr in brennender Sorge um seine Kirche, während St. Barbara mild lächelnd auf die betende Gemeinde schaut.

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