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Mit dem AAunde qemalt .. .

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„Das Gemälde, das Sie mir abkauften, Herr Pfarrer, hat eine ganz eigene Vorgeschichte“, sagte der Maler und sah den Geistlichen, der die Darstellung der in den Himmel aufsteigenden Madonna erworben hatte, nachdenklich an. „Eigentlich hängt meine Lebensgeschichte oder doch ihr entscheidendster Abschnitt eng mit seiner Entstehung zusammen.“ Der Pfarrer nickte ihm zu und setzte sich. „Ich habe immer Zeit für das, was mir die Menschen anvertrauen möchten, und bin gerade auf Ihre Geschichte gespannt“, antwortete er freundlich. Der Maler lehnte sich zurück in einer Pose, wie er früher vielleicht gemütlich die Arme verschränkt hätte, aber die dunkle Pelerine, die seine Schultern umhüllte, blieb unbewegt. Leise erzählte er:

„Ich selbst habe vor vier oder fünf Jahren auch nicht geahnt, daß ich je wieder ein Gemälde herstellen und dazu noch verkaufen würde. Der Krieg hatte mein Lebenswerk unbarmherzig zerschmettert. Stumpf und dumpf brachte ich freudlose Tage in jenem großen Krüppelheim hin, das außer mir noch so viele Verbitterte barg, denen der Weg normaler Menschen versperrt war durch ein furchtbares Geschick. Freilich, man tat alles, uns unsere Behinderungen nicht spüren zu lassen; es waren opferbereite Ordensfrauen, die uns pflegten. Aber kann einer vergessen, daß er keine Beine, keine Arme oder kein Augenlicht mehr hat? Wenn wir Versehrten zusammenkamen, zogen wir immer nur zu bald die traurige Bilanz des Krieges, einer steigerte durch seinen Anblick im andern noch Grimm und Verzweiflung.

Selbst Schwester Klothilde vermochte da nicht viel, obgleich wir sie alle heimlich verehrten. Sie war ein eigentümliches Wesen, von einer Schönheit, die so vergeistigt schien, als schwebe ihre Seele bereits über dem Irdischen, und von einer Menschenliebe, daß niemand dem Jammer des Diesseits enger verhaftet sein konnte als sie. Gerecht und milde wie eine Mutter, war sie immer zu denen am gütigsten, die gerade die Elendesten waren.

Ich vergesse nie, wie sie es eines Tages verstand, mich aus meinem fruchtlosen und irgendwie egozentrischen Brüten herauszureißen. Ich lag gerade mit Grippe krank und wollte einfach nicht genesen, weil mir alles gleichgültig war. Da kam sie frühmorgens mit Lächeln herein und erklärte, daß heute noch das freie Bett in diesem Zimmer belegt würde. ,Sie bekommen einen Kameraden', erklärte sie fröhlich, .aber keine Sorge, er wird Sie nie stören. Sie brauchen sich auch nicht zu unterhalten, machen Sie nicht so ein böses Gesicht. Ihr Zimmernachbar ist taubstumm — und gelähmt, ein ganz stiller Kranker.'

Während sie so sprach, richtete sie ein Tischchen her wie ein Altärchen, mit blütenreiner Spitzendecke, Kerzen, Lilien. Neugierig geworden, fragte ich halb ärgerlich, ob der Neue bereits versehen werden müßte? Sie schüttelte den Kopf. .Nein, das ist für euch beide, es ist heute Radioübertragung des größten Ereignisses des Heiligen Jahres, der Dogmenverkündigung aus Rom. Da wollen Sie gewiß zuhören!' Sie stellte ein Madonnenbild auf das Tischchen, eine alte russische Ikone. ,Was kann uns das helfen?' murmelte ich bitter, und mit einem Gefühl von Neid im Herzen: .Der das Bild malte, hat unsere Not nie geahnt, ebensowenig, wie die in Rom an uns denken.' Schwester Klothilde blieb gelassen wie immer. ,Der dies malte, soll ein Mönch gewesen sein, der es auf seinen Knien schuf in großer Liebe. Uebrigens wird der Heilige Vater auch den Kranken seinen Segen spenden.' Sie war schon wieder hinaus, um den neuen Heiminsassen zu holen.

Bald rollten sie ihn herein, hoben ihn ins Bett. Die großen, dunklen Augen fanden sofort das Tischlein, das Bild — stand nicht eine Frage darin? Schwester Klothilde, die ihn bettete, schrieb es auf ein Täfelchen, was uns erwartete — die Dogmenverkündigung. Der Gelähmte nickte leise — und was ging bloß in ihm vor? — freudig. Er würde doch nichts davon hören! Ich hatte Zeit genug, bis zur Radioübertragung sowohl meinen Kameraden wie auch das Madonnenbild zu betrachten. Tatsächlich, es gab Menschen, die noch schlimmer daran waren als ich. Wenn ich gesund war, konnte ich noch aufstehen, und war ich krank, so vermochte ich doch zu reden und durch das, was andere erzählten, mich abzulenken. Aber dieser hier — war er nicht total vom Leben abgeschnitten? Er sah das Madonnenbild an, bis ihm seine Augen im Schlaf zufielen.

Später versammelten sie sich in unserem Zimmer, die andern, die noch laufen konnten, und einige in Fahrstühlen, auch Schwester Klothilde. Und wir hörten die feierliche Verkündigung mit — die Stimme des Heiligen Vaters, der das selbstverfaßte Gebet an die in den Himmel aufgenommene Mutter des Herrn mit ergriffener Stimme vortrug. Erschütterte nicht die feierliche Definierung den Erdkreis und unsere Herzen? Schwester Klothilde saß und hielt die Hand des Taubstummen, gab ihm ein Zeichen, als es so weit war, segnete ihn, als wir uns bekreuzigten. Die Augen des Reglosen hingen an dem Madonnenbild — in diesem Moment kam mir ein atemberaubender Gedanke. Auf den Knien hat die Liebe das Bild gemalt — es gibt noch eine stärkere Form. Ich habe keine Hände mehr — aber noch einen Mund, die Madonna zu loben. Gott sei mir gnädig — ich werde es mit Seiner Hilfe schaffen!

Einige Tage später half mir Schwester Klothilde, den verwegenen PIr.n zu verwirklichen. Sie baute eine kleine Staffelei vor mir auf, reichte mir leichte Stifte und später auch Pinsel zu, die ich in meine Lippen nahm, fest und immer sicherer mit dem Munde umschloß.

Wie rasch machte der Eifer, die neue Aufgabe mich wieder gesund! Bald saß ich auf dem Malerstuhl, und die Kameraden machten sich eine Ehre daraus, mir zu helfen. Es war eine Abwechslung für sie, mehr noch, es wurde unsere gemeinsame Erholung, ein rechtes Abenteuer, an dem jeder seinen Anteil haben wollte. Erst malte ich Gegenstände, dann Figuren, dann — ja, dann war Schwester Klothilde das überaus geduldige Modell für das erste Madonnenbild. Und während ich malte, sah aus dem Nachbarbett mein armer Kamerad zu, vergaß sein Leid, sein Gefesseltsein, seine Augen sprachen lebhaft Tadel oder Lob, ich richtete mich nach seinem stillen Blick.

Es wurde die Madonna, in den Himmel aufgenommen, mein erstes großes Gemälde nach meiner Kriegsverletzung — mit dem Munde gemalt. Und ich glaube, es war nicht nur die Beschäftigungstherapie, die ein halbes Dutzend müder Menschen mit neuem Lebensmut erfüllte — es war das Bewußtsein, das unerhörte Geschehen darzustellen, daß eine aus uns, unser aller Mutter, bereits mit Leib und Seele verklärt im Himmel triumphierte, sie, die lebendige Verheißung, daß das Irdische mit seinem Elend Platz machen wird einer Verherrlichung auch des Leibes ohnegleichen. Sie werden verstehen, daß ich das Originalgemälde jenem Heim überließ, als Morgengabe eines neu Erstandenen sozusagen an seine leidenden Brüder. Alle Nachbildungen, zu denen auch dieses Gemälde gehört, entstanden in ihrer Mitte und stellen immer wieder die Madonna dar.

Vielleicht gibt es Menschen, die mir dies als Einseitigkeit auslegen könnten. Sie, der mein Schaffen fortan geweiht ist, wird mich verstehen, und das genügt. Wir haben beinahe — ein Geheimnis miteinander, meinen Sic nicht auch, Herr Pfarrer?“

Der Geistliche nickte: „Eines der größten zwischen Himmel und Erde“, sagte er leise und lächelte der Madonna der Versehrten zu.,,

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