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Die unbekannten Österreicher

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In einem Schau- und Lesesaal, über dessen Vitrinen die Bildnisse lebender österreichischer Schriftsteller hängen, liegen 522 Werke von 165 Autoren auf, Werke, geschrieben in härtester Zeit, gestört von Alarmen, in Hunger und Frost, geschaffen in Stunden, die abgespart waren an der so nötigen Ruhe nach hartem, beruflichem Wirken. Der Verband demokratischer Schriftsteller wollte einmal der Öffentlichkeit zeigen, wer die lebenden Österreicher sind, deren Namen fast alle schon in Literaturgeschichten verzeichnet wurden, und was sie an wesentlichen Büchern geschrieben haben: Es sind nicht alle vertreten; hat die Ausstellung Erfolg, dann sollen auch die Arbeiten der außerhalb Wiens Lebenden vorgeführt werden, soweit sie in der kurzen Vorbereitungsfrist noch nicht herbeigebracht werden konnten. Hier soll dem großen Publikum gezeigt werden, was es in den Auslagen der Wiener Buchhandlungen — von sehr wenigen, nicht hoch genug einzuschätzenden Ausnahmen abgesehen — nie oder fast gar nicht zu sehen bekommt. Dieser Eigenart des Wiener Buchhandels suchte bereits das Bundesministerium für Unterricht entgegenzuwirken, das sich bemüht hatte, die leitenden Funktionäre des heimischen Schrifttums mit denen des Verlagswesens und des Sortiments zu gemeinsamer Aussprache zusammenzuführen. Die Ausstellung ist eine Mahnung an Versprechungen, die nicht eingehalten wurden. Denn das Verhalten eines Großteils der Sortimenter/ist noch immer sehr unbefriedigend. Dabei beweist der Erfolg der Buchgemeinschaften nicht nur in Wien, sondern auch in den Bundesländern, daß trotz Geldknappheit und vieler Nachschaffungen des Unentbehrlichen, lang nicht Erlangbaren, ein bedeutender Lesehunger besteht. Wer in den Buchhandlungen auf seine Frage nach Lesenswertem immer nur zu hören bekommt, das gesuchte Buch sei nicht da, und den neuesten, schlecht übersetzten Thriller oder in anspruchsvollerem Rahmen ein möglich kostspieliges, im Ausland erschienenes Werk vorgelegt erhält, weil der Rabatt des Verkäufers hiebei erheblich größer ist, der überläßt die Wahl lieber verläßlichen Leitern dieser großen Gemeinschaften.

Mit Recht, war der Wiener Leser seit jeher für das wertvolle Schaffen der ganzen Welt aufgeschlossen; er ist es nach der Einkerkerung im Dritten Reich mehr denn je. Viel Schönes hat uns erst jetzt erreicht. Was aber alles über das „befreite Österreich“ an Büchern, Theaterstücken und Filmen hereinbrach, darüber hat der Herr Unterrichtsminister Dr. Hurdes in einem Schreiben an die Generalversammlung der Genossenschaft dramatischer Schriftsteller und Komponisten mit Recht gesagt: „Die Bemühungen um den geistigen Anschluß an die Weltkultur haben sich heinahe zu einer Art literarischer Besatzung entwickelt.“

Zwischen dem österreichischen Autor und dem Publikum steht eine Phalanx von Lektoren, Dramaturgen, Verlegern und Direktoren. Schon setzt die Abwanderung nach Deutschland auf allen Linien ein. Glücklich, wer einen Verleger findet, wie seinerzeit Bartsch, Ginzkey, Wildgans einen Staackmann, Rosa Mayreder einen Diederichs. In Wien kann es geschehen, daß bei -1er Frage nach einem Werk eines Österreichers, der in der Encyclopaedia Britannica genannt ist, der von Zoppot bis Innsbruck, von Czernowitz bis Oldenburg auf unzähligen deutschen Bühnen gespielt wurde, der Verkäufer den Namen noch nie gehört hat.

Bedenkt man, daß der Buchhändler rund ein Drittel des Ladenpreises einstreicht, väh-rend der Verfasser bestenfalls 10% erhält, er, durch dessen geistige Arbeit alle die graphischen Gewerbe, die Buchbinder, die Buchhändler leben, der Staat Steuern in allen Phasen des Umsatzes, an Einkommen- und Gewerbesteuern, Postporto und Bahnfracht einheimst, dem Autor aber selbst noch von seinem kargen Anteil zumindest die Hälfte wegsteuert, vielleicht begreift man bei dieser Lage der Dinge die Verbitterung der geistig Schaffenden! „Ich kann nicht mehr tun, als das Buch anbieten!“ erklärt der Händler, der die Verteilung einer Auflage an die Sortimenter übernommen hat. Die Cortimenter klagen, die Verleger lieferten keine Propagandadrucksorten, die man den Kunden senden, den Käufern beilegen könnte. Die Verleger erklären, daß sie Tausende von Schillingen verschwendeten für solche Werbedruck -sorten. Wozu aber die Sortimenter diese Papiere verwendeten? Niemand wisse es. Dem österreichischen Autor gegenüber herrscht noch immer die Einstellung des weiland Volkstheaterdirektors Weisse, der Schönherrs Bitte, doch zur Uraufführung dem Reiter in „Glaube und Heimat“ ein Lederkoller zu spendieren, mit dem Ausruf beantwortete: „Aber Herr Doktor, für die drei Aufführungen!“ Und der dann alle seine Defizite mit dem Bombenerfolg deckte.

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