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Die Zeit drängt

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Es geht eine Kraft in unseren Tagen auf, eine starke, unheimliche Kraft. Wir kennen nur ihre Hautfarbe, einen Namen dafür haben wir noch nicht. Aber die Zeit drängt.

Sie hat sich auch in Filmen wie „Carmen Jones“ und „Porgy und Bess“ angekündigt, doch glaubten wir daraus nur eine rassische, rhythmische Urkraft von erschreckender, aber auch faszinierender und nicht weiter verstörender Wirkung zu hören. Nun sehen wir sie und spüren sie ganz. Da jetzt Daniel Petries Columbia-Film „Ein Fleck in der Sonne“ in vollendetster Form des bürgerlichen Dramas vorliegt, stockt uns der Atem. Es geht um eine drei Generationen umfassende Familie des schwarzen Proletariats in Chikago, die mit aller Macht, unbeirrt um die dabei fallenden Schnitte ins eigene Fleisch, an die Sonne drängt. Der Schluß ist bedeutsam: Die schwarze Familie zieht ins weiße Wohnviertel, sie will dem Fleck in der Sonne trotzen. Die große in der kleinen Welt: schlechtweg alle Wunden der Zeit brechen in den einzelnen Charakteren und Generationen auf — atheistischer Intellektualismus gegen patristisch-fromme Geborgenheit, Spekulantentum gegen Arbeit, Gehorsam und Revolte, Mütterlichkeit und Abtreibung, Tradition und Zivilisation. Bestürzend die Offenheit der Problemaufdeckung, berstend prall die Fülligkeit der Figuren, das Erstaunlichste aber die realistische Dichte der darstellerischen Leistungen (durch die Bank von Negern), unter denen die alte Claudia McNeil fast den berühmten Sidney Poitier überspielt. Schlechtweg ein großartiger, gewitterschwangerer Film, bei dem man lacht, weint — und zittert, österreichisches Prädikat: Besonders wertvoll.

Unter den Neoveristen Italiens gibt es einen Michelangelo, leider nur mit Vor-Wiüenjswh heißt mtecdei|r.**i£*Mlichen Namen Antonibni und gilt als der pessimistischste Denunziant eines „unbeweglichen, phantasielosen, unbelehrbaren und erschöpften Bürgertums“ (Martin Schlappner). Mit Ausnahme von „II grido“ (1957), der im trostlosesten Arbeiterstand spielt, hauen alle seine Filme, „Cronaca di un amore“ (1950), „I vinti“ (1951) und ,.Le amiche“ (1955), in dieselbe Kerbe'. Sein jüngster Film „La n o 11 e“ kehrt zu seinem Lieblingsmilieu zurück und steht im Schlagschatten von „La dolce vita“.-Ein Schriftstellerehepaar „mit Kontaktschwierigkeiten“ findet in einer seltsamen Nacht, da der Freund des Hauses stirbt und Mann und Frau in die schalen Genüsse der oberen Hundert flüchten, auf Umwegen wieder zueinander. Es ist ein schwieriger Film. Auf der Habenseite stehen Antonionis faszinierender optisch-poetischer Stil, die differenzierten Tönungen seines Ausdrucks, erstmals auch ein Bekenntnis zur Kraft der Liebe: wieder aber schlägt das Debet darüber: die schwer zu begreifenden visuellen und sinnhaften Verwinkelungen, die ungebührliche Dehnung aller ereignislosen Ereignisse und das Fehlen der Transzendenz. Da sich unter den Hauptdarstellern (Marcello Ma-stroianni, Monica Vitti und Bernhard Wicki) auch Jeanne Moreau befindet, schleichen sich unvermittelt Vergleiche zum Sphinx-ohne-Geheimnis-Stil der neu gewellten jungen Franzosen ein. Die bleiche Ästhetik hat dem Film nichtsdestoweniger unter den dafür Empfänglichen einen gewissen Ruf beschert.

Der Klassiker des Neoverismo, Rosse-linis „Cittä aperta“ (1945), ist zwar noch immer nicht im Wiener Programm zu sehen gewesen (erst demnächst in diesem Theater), dafür schickt man als unfestlichen Brautwerber gleich den schwächsten Rosselini, „Der furchtlose Rebell“.

Eine traurig-dumme Gesellschaftsmoral geistert durch den deutschen Film „D a s Mädchen und der Staatsanwalt“. In dem alten Schwank „Der verkaufte Großvater“ hält wenigstens Hans Moser unentwegt die zerschlissene Fahne des deutschen Films hoch. Roman H e r 1 e

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F i 1 m s c h a u (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Österreich): III (Für Erwachsene und reifere Jugend, etwa ab 16): „Ein Fleck in der Sonne“**

— IV (Für Erwachsene): „Und die Nacht wird schweigen“, „Das Geheimnis von Monte Christo“ — IV a (Für Erwachsene mit Vorbehalt): „La notte“ („Die Nacht“)

— IV b (Für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt): „Der furchtlose Rebell“ — V (Abzuraten): „Das Mädchen und der Staatsanwalt“. — “ = empfehlenswert.

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