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EIN GEDICHT ENTSTEHT

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Im Frühjahr 1924 weilte ich mit Herbert Eulenberg in Rapallo bei Gerhart Hauptmann zu Gast, wo der Dichter die unmittelbar an der Santa-Margharita-Küste gelegene Villa Porticiuolo gemietet hatte, um einige Monate des Schaffens im milden Klima zu verbringen.

Er arbeitete damals an seinem Schauspiel „Dorothea Angermann“, hatte aber stets mehrere Stoffe unter der Feder, dem Augenblick es überlassend, in welche Arbeitssphäre die Stimmung ihn tragen würde. Denn sein besinnlicher Geist vertiefte sich mit gehemmter Schwere in ein werdendes Werk, und er hat, wie wenige Dichter, mit seinen Gestalten unablässig gerungen; hat oft in der Klause, von Zweifeln und Schöpferkleinmut befallen, vernichtet, was er eben aufgeschrieben. Hier in seiner Umgebung, wenn man es nicht aus seinem Werk selber wußte, spürte man die große Verantwortung dieses Meisters gegen seine Schöpfungen. Oft trieb ihn die Furcht, daß der Rausch, die Zuversicht, „der Blick ermattet, der Seele klares Vorbild hinschwindet“, wie er den Glockengießer Heinrich hadern läßt.

Hier, in Rapallo, erzählte Hauptmann von solchen Zweifeln, die das Werk umschleichen, bis der schöpferische Augenblick das Wort befreit« ;Undj diese-ihm eigene Wesensart wurde auch in.seinen Unterhaltungen spürbar.

■Er hatte sich am Abendtisch verspätet und trat dann mit) den Worten ein: „Eine ganze Stunde mußte ich heute nachmittag im Arbeitszimmer auf mich warten... Ich ließ mich indessen von der Muse nicht abweisen. Aber“, fügte er nach einer Pause zufrieden hinzu, „ein treuer Diener wird belohnt.“

Die gelöste Stimme des Gastgebers teilte sich bald dem kleinen Kreise mit, und ein humorgeladener Abend hub an. Eulenberg versuchte emsig und mit listigem Gesicht von den Wänden die Fliegen wegzufangen, die sich nach dem heißen Tage im Raum angesammelt hatten, „die Katinkas“, wie er sagte (sein Werk „Katinka, die Fliege“ war damals ein vielgelesenes Buch), und sorgte durch allerhand Eulenspiegeleien für rheinische Laune, so daß Hauptmann schließlich schalkhaft mit dem Finger drohte: „Herbert, du gibst mir zu denken!“ Er war selber heiteren Gemüts und übertrug mir nun mit einem bedeutungsvollen Lächeln die Pflicht, „den Chianti am Abend gewissenhaft zu verwalten“.

Indessen, noch merkbar innerlich beschäftigt mit dem reichen Tage, den — wie so oft — eine verdüsternde Selbstanzweiflung unterbrochen hatte, kam er in der späteren Abendstunde noch einmal auf die schöpferischen Augenblicke zurück. Der Chianti, den er wie ein andächtiger Zecher genoß, und die lebhafte Unterhaltung um den Tisch regten ihn an, sein in ihm wirkendes Morgenerlebnis vor uns auszubreiten. In der ihm eigenen verhaltenen und anheimelnden dunklen Sprechweise erzählte er, daß er am Morgen einen stillen Weg durch die von Ölbäumen bestandenen Anhöhen unternommen und sich lange im Schatten ihrer Zweige mit dem Blick auf das Mittelmeer niedergelassen hätte. Diese unbetretenen Wege, so sagte er, strahlten in ihrer halben Berührtheit etwas Feiertägliches aus und eine Ruhe, die an die Erschaffung der Welt erinnern könnte. Hier, abseits der Straße, hätte der Mensch von alters her, von Ernte zu Ernte, seinen Dienst an der Olive verrichtet. Man denkt, folgerte der Dichter, daß noch nie ein Heer diese stillen Fluren zertreten und selbst Hannibal sie nicht beunruhigt hätte ...

„Ich fühlte mich“, so fuhr Gerhart Hauptmann in seinen nachdenklichen Betrachtungen fort, „plötzlich 5000 Weltjahre zurückversetzt. In einiger Entfernung arbeitete ein Mann behutsam und gemächlich'; meine Anwesenheit ließ ihn nicht einmal aufblicken. Mir schien der Himmel aufgerissen, und «h'weiß nicht, ob ich diese von Ewigkeiten erleuchtete Stimmung für die Dauer nur eines Augenblicks oder einiger Stunden erlebte — so nah und doch so fern befand ich mich abseits der Straße. — Ja, .Abseits der Straße' werde ich es nennen“, wiederholte er sinnend. „Ich habe heute morgen zwischen den Ölbäumen ein Gedicht aufgeschrieben, vielmehr einige Reflexionen ...“

Er zog ein schmales Notizbuch aus der Tasche und begann zu lesen: „Nur wenig Schritte von der breiten Straße, und es verstummt die Zeit...“ Nun hielt er wieder Mine, las bruchstückweise noch einige Worte, um darnach ganz in Schweigen zu versinken. Wer hätte die einfachen, feierlich-ernsten Gesten missen wollen, mit denen er seine aus tiefem Brunnen geschöpften Worte nur zögernd entließ. Nicht, daß dieser Meister der Sprache sie nicht zu formen gewußt hätte; aber während er vorlas, wurden neu nachdrängende Gedanken unterirdisch in ihm wach, und die lebendig sprechende Stirn drückte aus, was das Wort noch vorenthielt.

Hauptmann hatte inzwischen seine Niederschrift um einige Zeilen ergänzt. „Nun bin ich dem Erlebten wieder näher, aber ich kann es noch nicht zu Ende lesen“, sagte er kopfschüttelnd. Dann fuhr er nachdenklich fort: „Diese Landschaft der Gnade ... an ihrer nahen Küste das Ausatmen des Meeres, das durch sein Gleichmaß die große Ruhe noch erhöht, statt sie zu unterbrechen ... Augenblicksweise empfand ich die Begnadung. Aber nur augenblicksweise: Nie fertig zu sein und doch sein Maß erfüllen zu müssen, bleibt eim ernstes Los. Der Arbeiter an der Olive hegt nie Zweifel...“ — Der Kreis ließ ihn bei seinem Erlebnis verweilen, das sich nun im Selbstgespräch verlor.

Später fand ich das Gedicht, das er an diesem entrückten Tage aufgeschrieben, in der „Ährenlese“. Er hatte ihm darin gar keinen Titel gegeben und es nur nach den drei Wörtern seines Anfangs benannt, da er die bei der ersten Verlesung beschlossene Überschrift „Abseits der Straße“ nicht notiert und wohl vergessen hatte.

Das Gedicht lautet:

Nur wenig Schritte von der breiten Straße, und es verstummt die Zeit, der du verbunden. Du weißt nicht mehr von ihren, deinen Wunden — nur wenig Schritte von der breiten Straße.

Nur wenig Schritte von der breiten Straße-, fünftausend Jahre sind wie nicht gewesen. Du siehst den stillen Mann Oliven lesen und hier und da ein einsam Echo wecken bei einein andern, dessen Wanderstecken ihm stützt die rauhen, schwielig-braunen Hände.

Die beiden trieben schon zur Zeit ihr Wesen, eh' Hannibal die Alpen überstiegen. Sie trieben es schon vor den Perserkriegen ... nur wenig Schritte von der breiten Straße.

Als Hauptmann das Aufkeimen dieses dann später geformten Gedichtes an jenem Abend vermittelte und der kleinen Tischrunde die heimgebrachten Eindrücke deutete, drang durch das offene Fenster das Rauschen der Brandung des Mittelländischen Meeres, die gegen die Felsen des Gartens verebbte — in immer gleichem Rhythmus. Wie vor fünftausend Jahren ...

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