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Ein vergessenes Tiroler Genie: Christian Joseph Tschuggmal

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Die Tiroler gelten als besonders bodenständiger Menschenschlag, der seiner Heimat nur den Rücken kehrt, wenn ihm Not und Armut keine andere Wahl lassen. Selbst heute, wo derlei Gründe wegfallen, eignet Leuten wie dem Bozener Schriftsteller Herbert Rosendorfer, der jetzt im ostdeutschen Naumburg seinem Beruf als Richter nachgeht, Exotisches. Ein Welt-Tiroler der Sonderklasse war der Historiker Jakob Philipp Fallmerayer aus der Gegend um Brixen, der im wenig mobilen 19. Jahrhundert den gesamten Orient bereiste und erforschte. Eine andere Spezies bilden die Technik-Koryphäen, die in der Abgeschiedenheit der Tiroler Bergwelt keine Chance hatten, ihre Pionierträume zu verwirklichen: Der Dachdecker Peter Mitterhofer, dem in seinem stillen Kämmerlein in Partschins bei Meran die Erfindung der mechanischen Schreibmaschine gelang, ging zu Fuß nach Wien, um dem Kaiser sein Wunderwerk zu präsentieren, und daß es dem Bozener Ingenieur Max Valier versagt geblieben ist, in den Weltraum vorzustoßen, liegt nur daran, daß der geniale Konstrukteur eines Raketenautomobils bei einem seiner Experimente in Berlin mit 35 Jahren den Tod fand.

Ein technisches Genie ganz eigener Art war der aus Wenns im Pitztal stammende Christian Joseph Tschuggmall (1785-1845), der mit' dem von ihm konstruierten „Kunst-und Automatentheater” halb Europa bereiste. Die wenigen erhaltenen Figuren aus seiner Manufaktur zählen heute zu den kostbarsten Schätzen des Münchner Stadtmuseums.

Daß das Wirken des um Kunst und Technik verdienten Mannes, dessen Name in keinem der gängigen Lexika aufscheint, nun langer Vergessenheit entrissen ist, verdanken wir der

Wahltiroler Autorin Inga Hosp, die soeben im Innsbrucker Haymon-Ver-lag die Roman-Biographie „Tschugg-mall oder Das Leben durch Maschinen” vorgelegt hat. Was das (delikat illustrierte) Buch so wertvoll macht: Dank ihrer aufwendigen Recherchen, ihrer profunden Bildung und ihrer Zeit wie Milieu subtil nachzeichnenden Sprache ist Inga Hosp mehr als nur die Lebens- und Schaffensgeschichte eines besessenen Autodidakten aus ärmlichsten Verhältnissen gelungen: ein kulturhistorisches Panorama vom Tirol des frühen 19. Jahrhunderts, das an Detailreichtum seinesgleichen sucht.

Tschuggmalls Vater ist Fleischhauer und Tierarzt, der Mutter sagt man die Gabe des Hellsehens nach. Schon als Hüterbub tanzt der spätere Tischlerlehrling aus der Reihe: Statt die ihm anvertrauten Schafe und Kühe zu beaufsichtigen, gilt sein ganzes Interesse der Mühle, die er am Dorf bach gebastelt hat. Genauer: dem hölzernen Klöppel, der mit dem Schwung des Wasserrades gegen eine Schelle hämmerte.

Sein nächstes „Projekt” fällt ihm bei der Ostermesse in der Kirche ein: einen Christus mit beweglichen Gliedmaßen zu schnitzen, der sich zum Zeichen der Auferstehung effektvoll aus dem Grabkasten erhebt. Bald schnuppert der ideensprühende Jüngling Weltluft. Als Laufbursche im Dienste des berühmten Schweizer Physiognomikers Johann Kaspar La-vater kommt Tschuggmall in Zürich mit Akrobaten in Berührung. Vor allem die um diese Zeit aufkommenden „Automaten” faszinieren ihn: mechanische Spielfiguren, denen er bis an ihren Ursprungsort Chaux-de-fonds nachreist. Auch nach der Rückkehr in die Tiroler Heimat, wo er sich als Leinenweber und später, inzwischen verehelicht und mehrfacher Vater, als Seifensieder durchbringt, gehen ihm die geheimnisvollen Maschinenmenschen mit den abgehackten Bewegungen nicht aus dem Kopf. Doch zuerst einmal heißt es Kriegsdienst tun: Tschuggmall ist einer der Besten in Andreas Hofers Landsturmtrupp.

Den Durchbruch zur eigentlichen Berufung verdankt der mittlerweile 33jährige seiner Übersiedlung nach Brixen, wo er in der Gestalt des Fürstbischofs Graf Lodron, eines leidenschaftlichen Automatensammlers, einen liebevollen Mentor findet. Welch ein Erlebnis: Hochwürden braucht nur mit den Fingern zu schnippen, und aus allen Ecken des Wunderkabinetts bewegen sich künstliche Mägde auf den Gast zu und bieten ihm Obst an. Auch künstliche Musikanten treten in Aktion, ja, einer der Maschinenmenschen kann sogar sprechen! Und als dann eines Tages der steiri-sche Schausteller Matthias Tendier bei einer Sondervorstellung in der Brixener Hofburg seine mechanischen Kunstreiter vorführt, weiß Graf Lodron, was er seinem Schützling schuldig ist: ihn gleichfalls zum Bau von Theaterautomaten anzuhalten und ihm dazu mit einer Bente aus seiner Privatschatulle die nötige Unabhängigkeit zu verschaffen.

Tschuggmall zum erstenmal vors Publikum. Ein Bajazzo, eine Seiltänzerin und eine Pferdenummer lassen die Zuschauer jubeln, „Minervas Pracht-tempel” sowie eine Rettung Schiffbrüchiger beschließen das Programm. Mit einem selbstgefertigten Reisewagen zieht unser Tiroler Theaterprinzipal nun los, seine Attraktionen auch anderwärts zu zeigen: in Bozen, Mailand und Trient, in Dresden, Petersburg und Moskau. Und natürlich in Wien. Fern der Heimat, im Odenwald, geht das Abenteuer dieses ungewöhnlichen Künstlerlebens zu Ende: Am 28. November 1845, kurz vor seinem 61. Geburtstag, wird Christian Joseph Tschuggmall im hessischen Michelstadt zu Grabe getragen.

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