7112727-1996_03_23.jpg
Digital In Arbeit

Eine Stadt unter Glas

Werbung
Werbung
Werbung

Ein rechter Künstler verachtet den Markt und folgt unbeirrt seinem Genius. Der rechte Künstler darbt daher und genießt die Früchte seines Schaffens entweder gar nicht oder nach seinem Tode.

Da solche Aussichten verdrießlich sind, gibt es nur sehr wenige rechte und echte Künstler. Heutzutage, so weiß der Künstler, soferne er zu Leb-y zeiten leben will, daß nicht die Kunst, sondern der Markt immer recht hat. Es gilt daher, den Markt zu beobachten und zu bedienen, sich seinen Erfordernissen anzupassen. So entsteht und lebt der erfolgreiche Künstler. Wer ohne Kunst ist, werfe den ersten Stein!

Es ist nämlich — und das wissen zu wenige — auch eine Kunst, den Markt richtig zu erkennen und einzuschätzen. Denn dieser Markt besteht nicht etwa bloß aus der Nachfrage der sogenannten Kulturkonsumenten. Da wäre die Kunst ja so einfach wie die Zucht von Blumen und ihr Verkauf am Marktstandel. Der Markt besteht vielmehr zu einem beträchtlichen Teil aus den Subventionstöpfen und Sponsoren.

Nun sind, um unser Beispiel auf die Literatur und Teile der bildenden Kunst einzugrenzen, selbst die neuesten Formen ziemlich ausgereizt. Daß ein Maler nicht mehr auf Fläche malt, sondern seine Inspiration als Environment im Baum verteilt und über 20 Videoschirme flimmern läßt, ist ebenso ein alter Hut wie das Werk des Dichters, der Sätze und Worte zerlegt und sich in visuellen Assoziationen mitteilt. Der Schrei nach neuen Dimensionen ist unüberhörbar - und außer Weltraum-Installationen ist alles schon dagewesen.

Aber es gibt einen Geheimtip. Gefragt sind heute künstlerische Projekte. Gefragt ist eine Art bürokratischer Project-Art. Daran entwickelt die Kulturpolitik neuerdings einen ungeheuren Bedarf. Die Anregung und Unterstützung der Phantasie durch imaginäre Beantwortung der Frage „Was wäre, wenn ..." hat Konjunktur.

Die Architekten kennen das in Praxis und Planproduktion. Doch warum das weite Feld den Architekten überlassen? Warum ganz altmodisch die Literatur nach utopischen Bomanen durchstöbern? Jeder Künstler ist zur proj ektionistischen Hervorbringung berufen. Der Markt ruft und boomt.

Gefällt Ihnen, lieber Künstler, der heimische Bahnhof, der Marktplatz, die Kirche, der Berg, der Fluß? Konzentrieren Sie sich auf einen Punkt, der verändert und verfremdet werden soll, um das Bewußtsein dafür zu intensivieren. Die Verhüllungen ä la Christo sind passe und außerdem zu aufwendig und kostspielig für einen Künstler, der erst in den Markt einsteigt. Schreiben Sie um Himmels willen kein Gedicht, keinen Boman, kein Essay, kein Drama über Ihr Objekt! Sondern greifen Sie hinein ins volle Innovationsleben! Einen Berg in eine Lichtwolke von 100.000 Kerzen hüllen, einen Fluß purpurrot einfärben, eine Kirche giftgrün anstreichen, das sind so die Ideen von blutigen Anfängern. Wer Projektionismus dieser Art übt, gerät in Gefahr, von seinem Subventionsgeber zur praktischen Ausführung gedrängt zu werden.

Es ist das undurchführbare Happening, welches den Erfolg bringt. Man muß aber dabei mit Worten und Skizzen so tun, als sei es ein Kinderspiel, die Sache ins Werk zu setzen. Einschließlich einer Kostenkalkulation in Millionenhöhe. Kein Mensch bezahlt diese Summe, das Projekt wird nicht ausgeführt, aber als Projekt honoriert. Zum Beispiel: Eine ganze Stadt unter eine Glaskuppel, die Donau über den Kahlenberg pumpen, ein Kaufhaus mit Wachs ausgießen, das Bathaus mit bengalischem Feuer anzünden, eine Straße mit den Goldreserven der Nationalbank pflastern. Es kommt nicht allein auf die Idee, sondern vor allem auf die ernsthafte, detaillierte projektionistische Planung an. Es muß also Arbeit dahinterstecken. Ohne Fleiß kein Preis! Und ohne Schublade kein Projekt! Aller Anfang ist schwer, aber was tut der Künstler nicht alles für den Markt!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung