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Fronleichnam im Gefängnishof

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„Nun, Pater Michalac, wie war Ihr Eindruck von unserer Fronleichnamsprozession? War die Beteiligung in diesem Jahr nicht überwältigend?“, fragte der Großstadtpfarrer gutgelaunt seinen Gast. „Das Ganze muß Ihnen nach den Erlebnissen in Ihrer Heimat doch vorkommen, wie ein Tiaum?“

Das schmale dunkle Slowenengesicht des anderen senkte sich rasch. „Ich gestehe“, gab er zögernd zu, „der Aufwand zur Ausgestaltung war beachtlich: Blumenteppiche auf den Bürgersteigen, Altäre, Fahnen, Banner, Statuen — ja.“ Der Pfarrer zog die Brauen hoch. „Und? Sie verstummen und sehen aus, als könne Sie das in Wirklichkeit nicht berühren. Was fehlt denn unserer Prozession?“

Dem Slowenen stieg das Blut ins Gesicht. „Nichts — nur das, was mir das Wesentliche scheint.“ Der andere drängte: „Sie sind hier nicht in Jugoslawien, Sie dürfen frei reden, hat Sie etwas gestört?“

„Ja! Ich sah zu viele Damen, die mit einer christlichen Modenschau zu gehen schienen und zu viele Dandies, die bei den Segnungen das Knien vergaßen, ich entdeckte, daß die am Wege Stehenden nicht mal die Zigarette aus dem Mundwinkel nahmen und einiges mehr. Sie haben recht, ich bin nicht mehr in Jugoslawien, aber fast wünschte ich, viele Ihrer sonst ordentlichen Christen würden einmal dort sein und unsere Fronleichnamsprozession im Gefängnis-, hof von Milask mitmachen — es würde sich klar herausstellen, wieviel echter Glaube noch in ihnen ist.“ Jetzt wurde der Pfarrer verlegen. „Sie haben scharf beobachtet, Pater Michalac, aber ich bin Ihnen dankbar dafür. Wenn es angeht, erzählen Sie mir, was war es mit dem Gefängnishof, von dem Sie sprechen? Vielleicht kann ich nächsten Sonntag darüber predigen?“

Der Pater schien aufzuatmen. „Ja!“, sagte er rasch, „der Vergleich drückt mir schwer auf der Seele, der plötzlich wieder vor mir stand, als ich die Prozession beobachtete. Auf einmal befand ich mich wieder als Häftling unter anderen, die gleich mir aus .politischen Gründen' in das große Stadtgefängnis eingeliefert worden waren. Viele waren nur in Untersuchungshaft, weil sie irgend jemand als romtreu angezeigt hatte. Bei mir schien es ernster, ich war ja eindeutig Priester, der sich nicht zu den .Aufgeklärten' geschlagen hatte. Jeden Tag versuchten sie Geständnisse zu erpressen über staatsfeindliches Verhalten. Wann meine Kräfte gebrochen sein würden, war nicht abzusehen. Viele vor mir waren eines Tages verschwunden, nachdem man sie zermürbt hatte, daß sie zu sinnlosen Anklagen ja und amen sagten. Aber ich wollte ja von den anderen reden, die unsere Fronleich-nam?prozession ausmachten. Wir waren ein bunter verlorener Haufen, durchweg Katholiken.

Das machte uns stark gegen den gemeinsamen Widersacher. Es gab wenige Gelegenheiten, ein paar flüchtige Worte miteinander zu flüstern, die eine war morgens von 9 bis 10 Uhr, wenn wir auf dem Gefängnishof herumgeführt wurden, damit keiner von uns krank wurde, ehe man seine Geständnisse niedergelegt hatte. Automatisch machten wir die vorgeschriebenen Turnübungen, zehnmal Knie — beugt und ähnliches, dann ging's zurück in die Käfige. Dabei durfte nicht gesprochen werden. Die zweite Gelegenheit war abends gegen sieben, wenn wir zur Latrine geführt wurden.

Entschuldigen Sie, Pfarrer, diese Menschlichkeit läßt sich nicht unterschlagen, sie gehört mit zum Programm der Unmenschen. Nur hier, wenn einer dem anderen die Klinke in die Hand gab, konnten wir etwas zwischen den Zähnen murmeln, wir hatten eine eigene Geheimsprache entwickelt. .Morgen Fronleichnamsprozession, PX, bei mir!' raunte ich jedem zu, sie grinsten und verstanden und taten, als hätte ich nur einen Witz gemacht, wie ihn das Elend eingibt. Die Posten merkten nichts.

Einer schmuggelte mir ein Sti:ck Weißbrot jw, steinhart und alt, es genügte. In der Nacht zu Fronleichnam kniete ich in der Zelle und konsekrierte. Dann band ich die heilige Hostie in das Kelchtüchlein, welches die Wachtposten bislang für ein Taschentuch gehalten und gestattet hatten, mir auf die Brust. Unter der Häft-lingskleidung verborgen trug ich am Fronleichnamsmorgen den Herrn in den Gefängnishof. Keiner der Aufseher ahnte, weshalb auch die Schwächsten und Kränksten plötzlich so gute Haltung annahmen. Kerzengerade und würdig schritten sie die gewohnte Runde, ein sonderbares Leuchten in den hohlen Augen, hinter mir, der ich als der körperlich Größte an der Spitze zu gehen hatte. Nichts mehr von Resignation, von müdem, schleppendem Gang — und was war das —, selbst Peter, der Herzkranke, der sich vom Knie-beugt hatte dispensieren lassen, seit er dreimal dabei zusammenbrach — machte heute mit zusammengebissenen Zähnen mit. So exakt war die Uebung noch nie ausgefallen, so lange blieben sie nicht in der Kniebeuge! Ich allein wußte, weshalb — oh, verborgene Anbetung von Milask!

War es das Unverstandene, das den Aufseher reizte und mit Wut erfüllte, plötzlich kam er zu mir, versetzte mir einen wüsten Stoß vor die Brust: ,Auf — Pfaffe! Wir werden dich sehon noch geschmeidiger machen!' Ich wurde weiß vor Schreck — der Stoß hatte haargenau den Herrn getroffen, den stillen Kameraden unserer Not, dem unsere merkwürdige Fronleichnamsprozession huldigte. Plötzlich ließ drinnen ein Wärter den Abfalleimer fallen — er war Katholik und hielt heimlich zu uns —, von dem Getöse fuhr der Aufseher herum —, der Augenblick genügte, daß ich den anderen deutlich sichtbar General-absolution erteilte. Kommunizieren konnte ich nur für sie alle, wieder allein in der Zelle.

Die Hände zitterten mir, als ich das Tüchlein auseinanderschlug, in viele Fragmente zerbrochen war der verwandelte Brotleib des Herrn, ich zählte die Stücklein — vierzehn —, wir waren auch vierzehn Häftlinge damals, für jeden einzelnen empfing ich kniend und betend — war es nicht, als wolle der Herr mir sagen, daß Er in jedem von ihnen leide und gegenwärtig sei? Plötzlich glitt von mir die quälende Ungewißheit über mein Geschick und das der anderen Häftlinge. Christus war bei uns, jeder Tag unserer Not war stiller Fronleichnamstag, Triumph inmitten der Erniedrigung der Erde. Er war bei uns bis ans Ende der Welt, alle Tage. Wir waren seine Monstranz, sein Tabernakel, sein Zelt unter den Menschen voll Haß. Es war, als hätten sie alle etwas von diesem Geheimnis begriffen, sie gewannen an Mut und Festigkeit, der .zerbrochene Herr', heilte die gebrochenen Herzen. Nicht einer von uns ließ sich zum Abfall bewegen.

Ich hoffe, Herr Pfarrer, Sie begreifen, daß mir diese Fronleichnamsprozession zum geheimen

Maßstab wurde, den ich ungewollt immer wieder anwenden muß in den noch gesichert scheinenden Ländern des Westens. Es ist .merkwürdig, es passiert immer wieder, daß ich manche Christen plötzlich, die ich hier beobachte, im stillen in jenen Gefängnishof versetze. Aber das Urteil, freilich, gilt es dem Herrn zu überlassen, der allein die Herzen kennt...“

Und es hing ein Schweigen lange im Raum, stärker als Worte.

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