6638026-1957_27_05.jpg
Digital In Arbeit

Gebet eines Streikenden

19451960198020002020

Aus gelegentlichen Meldungen der Zeitungen weiß man, daß seit der großen Streikbewegung in den spanischen Industriegebieten im vergangenen Jahr die Unruhe unter der Arbeiterschaft Spaniens nicht nachgelassen hat. Trotz aller Regierungsmaßnahmen kommt es beispielsweise gegenwärtig im Gebiet von Oviedo in Asturien immer wieder zu kleineren Auseinandersetzungen und Kundgebungen, zu „Bummelstreiks“ und „rotierendem Ausstand“. Der spanische Staat bestreitet allerdings nach wie vor dem Arbeiter das Recht auf den Streik — im Gegensatz zur Kirche, deren Sprecher immer wieder auf das Recht des Arbeiters zur kollektiven Selbsthilfe hingewiesen haben und hinweisen. So erklärte etwa vor nicht langer Zeit Kardinalprimas Pia y Deniel bei der Nationalversammlung der „Sozialen Aktion der Unternehmer“: „Die Arbeiter haben das Recht, das ihnen niemand verweigern kann, ihre Stimme korporativ zur Geltung zu bringen und so ihre Rechte und Interessen zu verteidigen. Die Unternehmer müssen den Arbeitern dieses Recht zugestehen, und nur dadurch wird eine echte Sozialreform möglich sein.“ Besser, anschaulicher und eindringlicher aber als nüchterne Meldungen beleuchtet die Situation, wie sie offenbar in großen Teilen der spanischen Arbeiterschaft gegenwärtig herrscht, das erschütternde „Gebet eines Streikenden“, das kürzlich die Wochenschrift der spanischen katholischen Jugend, „Signo", in Fettdruck veröffentlichte. Wir bringen im folgenden den Wortlaut dieses Gebets:

19451960198020002020

Aus gelegentlichen Meldungen der Zeitungen weiß man, daß seit der großen Streikbewegung in den spanischen Industriegebieten im vergangenen Jahr die Unruhe unter der Arbeiterschaft Spaniens nicht nachgelassen hat. Trotz aller Regierungsmaßnahmen kommt es beispielsweise gegenwärtig im Gebiet von Oviedo in Asturien immer wieder zu kleineren Auseinandersetzungen und Kundgebungen, zu „Bummelstreiks“ und „rotierendem Ausstand“. Der spanische Staat bestreitet allerdings nach wie vor dem Arbeiter das Recht auf den Streik — im Gegensatz zur Kirche, deren Sprecher immer wieder auf das Recht des Arbeiters zur kollektiven Selbsthilfe hingewiesen haben und hinweisen. So erklärte etwa vor nicht langer Zeit Kardinalprimas Pia y Deniel bei der Nationalversammlung der „Sozialen Aktion der Unternehmer“: „Die Arbeiter haben das Recht, das ihnen niemand verweigern kann, ihre Stimme korporativ zur Geltung zu bringen und so ihre Rechte und Interessen zu verteidigen. Die Unternehmer müssen den Arbeitern dieses Recht zugestehen, und nur dadurch wird eine echte Sozialreform möglich sein.“ Besser, anschaulicher und eindringlicher aber als nüchterne Meldungen beleuchtet die Situation, wie sie offenbar in großen Teilen der spanischen Arbeiterschaft gegenwärtig herrscht, das erschütternde „Gebet eines Streikenden“, das kürzlich die Wochenschrift der spanischen katholischen Jugend, „Signo", in Fettdruck veröffentlichte. Wir bringen im folgenden den Wortlaut dieses Gebets:

Werbung
Werbung
Werbung

„Gewinnen! Herr, das ist der einzige Gedanke, der in meinem Kopf umgeht: den Streik gewinnen! Es wäre Schrecklich; vergeblich sosehr gekämpft zu haben.

Was wollen wir denn nach allem? Nichts als Gerechtigkeit! Wir wollen zuallererst ein humaneres Leben — das Leben eines Menschen und nicht eines Sklaven.

Unser Scheitern wäre der Triumph der Ungerechtigkeit, die Kotlache des Elends und — Haß. Das sind doch sonst immer die Früchte eines Streiks.

Gleich werden wir dem Unternehmer gegenüberstehen. Bei ihm steht die ganze Welt. Wir haben eine Mauer vor uns. Die Mauer der ,be-

trieblichen Schwierigkeiten', die Mauer der gesetzlichen Bestimmungen, die gerade immer rechtzeitig da sind. Die Mauer seines ruhigen Gewissens! Umsonst werden wir ihm wieder klarzumachen versuchen, daß wir einfach nicht mehr länger warten konnten.

Wenn ich nur an diesen kalten Kopf denke, juckt es in meinen Händen — verzeih mir, o Herr —, ihm eine Tracht Prügel zu geben. Und ich habe Angst, daß diese Funken sich plötzlich entzünden. Laß uns, Herr, nicht die Ruhe verlieren, nicht schreien, nicht die Türen Zuschlägen. Mach, daß wir stark bleiben.

Er wird uns anhören, höflich vielleicht, aber bestimmt kaltlächelnd. Er ist sich sicher, daß wir lieber streiken als arbeiten. Das ist das Einfachste, so meint wenigstens er. Als ob es ein Vergnügen wäre, von den Spargroschen zu leben (wenn wir welche haben), Schulden über Schulden zu machen, unseren Kindern das Brot vorzuzählen, im Syndikat zu leben, anstatt uns um Frau und Kinder und Heim zu kümmern.

(Ganz nebenbei, Herr, mach, daß sie versteht, daß ich viel mehr ihren Zuspruch brauche als ilKp ;&ot ste.)a ... ? asiibns ß ui

Herr, dieser Streik war nicht mehr iu umgehen. Du weißt es wohl, daß er unsere einzige Waffe ist, daß wir keinen Vorteil wollen, daß wir nur unsere Lebensbedürfnisse decken wollen. Unsere Geduld ist jetzt am Ende. Ich für mich allein hätte vielleicht noch warten können — Du mußtest ja viel mehr dulden. Aber da sind die Frau, die Kinder, die Kameraden. Ich habe schon allzuviel unwürdiges, ungerechtes Elend gesehen. Du, der Du mit Gewalt die Händler aus dem Tempel vertrieben hast, Du verstehst wohl, daß uns bisweilen die Lust ankommt, die Peitsche gegen jene zu erheben, die uns mißbrauchen. Du weißt wohl, was unser Los sein wird, wenn wir scheitern: Entlassen, weil wir unseren Brüdern treu waren. Von der Gewalt erfaßt. Im Willen gebrochen. Von der Passivität erdrückt. Ganz zu schweigen von jenen guten Leuten, die die Ordnung lieben, die wegen des Streiks Angst bekommen und sich von uns abwenden.

Du weißt wohl, daß dieser Streik nicht scheitern darf. Daß wir mit Dir, o Herr, das Bestmögliche daraus machen müssen. Gib uns Kraft, daß Wir wachsam sind und nicht nachgeben. Daß wir jene nicht verdammen, die sich gestern .krank' meldeten (ohne Dich sind wir ja alle Feiglinge). Daß wir den Gründen unseres Streiks treuer sind als dem Streik selbst. Gib Enthusiasmus und Mut denen, die schwach zu werden beginnen.

Wir werden uns einschränken müssen, um den anderen Bedürftigen zu helfen; unsere Abneigung, unseren Haß, unsere Gewalttätigkeit zügeln; klar sehen, um die anderen zu verstehen und Parteienkämpfe zu vermeiden; unseren Willen stärken, um wirksam und unauffällig unser Christentum unter Beweis zu stellen.

Wenn ich sehe, was Du, o Herr, von uns erwartest, bekomme ich Angst und möchte am liebsten nach Hause gehen. Unser Streik wird untergehen, wenn wir ihn zu unserer und nicht zu Deiner Sache machen. Wenn Du nicht unsere Aktion leitest, wie sollen wir die Worte finden, die den Ton der Liebe tragen?

Wir haben schon zu viele Schläge erfahren, als daß wir nicht flehentlich um Deine Hilfe bitten müßten. Wenn wir scheitern, werden wir geduldig den Kampf wieder aufnehmen müssen, Entmutigung und Erschöpfung in Dein Opfer einschließen und Hoffnung und Kraft aus ihm erbitten. Auf daß Dein Reich komme! In die Welt der Arbeit — in die ganze Welt.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung