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Gift und Dolch im 20. Jahrhundert

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SCHELLENBERG-MEMOIREN. Herausgegeben von Gita Petersen. Mit einem Vorwort von Klaus Harprecht. Verlag für Politik und Wirtschaft, Köln 1959. 421 Seiten.

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SCHELLENBERG-MEMOIREN. Herausgegeben von Gita Petersen. Mit einem Vorwort von Klaus Harprecht. Verlag für Politik und Wirtschaft, Köln 1959. 421 Seiten.

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Im Jahre 1951 beherbergte eines der großen unpersönlichen Hotels von Palanza am Lago Maggiore einen besonderen Gast. Aeußerlich war wenig Auffälliges an ihm. Ein Besucher schildert ihn als „scharmanten mittelgroßen Mann, korrekt gekleidet, durchaus nicht unsympathisch; freilich in keiner Geste, in keiner Bewegung, keinem Gesichtspunkt markant“. Zwei Dinge nur waren an dem Fremden auffällig: der Kranz von Medizinfläschchen, den er bei jeder Mahlzeit auf seinem Gedeck aufbaute, und die Hast, mit der er zu jedem verfügbaren Stück Papier griff — etwa die Rückseite der Speisekarte —, eine jede Minute für die Niederschrift irgendwelcher Erinnerungen zu nutzen. Und ijoch etwas kam dazu: die Scheu, mit der der Gast plötzlich einem Gärtner aus dem Weg ging, oder im Gespräch verstummte, wenn zufällig eine biedere alte Frau den Weg kreuzte.

Dieser von der Krankheit gezeichnete, etwas timide Mann war Walter Schellenberg. Palanza war die vorletzte Station eines Lebens, das in jungen Jahren hinauf in die höchsten Regionen der Macht des „Dritten Reiches“, hinunter in den innersten Höllenring des SS-Staates geführt hatte. Mit einiunddreißig Jahren hatte er den Machtapparat des deutschen Geheimdienstes im Ausland in seinen Händen konzentriert. Vierunddreißig Jahre und nicht mehr zählte er, als, nachdem er zu guter Letzt die treibende Kraft hinter den Friedensfühlern Himmlers war, die große Götterdämmerung ihm das gefährliche Riesenspielzeug aus der Hand schlug. Nachher aber kam nichts mehr. Nachher kam, entgegen allen abenteuerlichen Gerüchten, 1952 der frühe Tod nach einer Leberoperation in Turin. Dort lieg Schellenberg auch begraben.

In den vorliegenden Aufzeichnungen, die von Gita Petersen redigiert und zu einem Buch vereinigt wurden, ersteht zunächst das Bild eines strebsamen, intelligenten, jungen Mannes, der, geleitet von Abenteuerlust und nicht sonderlich beschwert von politischen und menschlichen Skrupeln, an der „geheimen Front“ seinen Weg macht. Nicht unerwähnt soll bleiben, daß dem dreiundzwanzig Jahre alten Bonner Studenten von 1933, der weniger aus Ueberzeugung, sohdern -einer gewissen akademischen Snobismus jener Jafcre folgend, der SS- beitritt undj/brav seine sonnt täglichen Gepäcksmärsche mitmacht, sich ein abgefallener Priester als „Schicksalsmann“ anbietet. Die Szene, wie der abtrünnige Priester in SS-Uniform dem jungen Eleven klarmacht, bei seiner Intelligenz sei er doch zu etwas Höherem berufen als zum Gamaschendienst (Seite 28), hat etwas Luziferisches in sich. Und Schellenberg geht den Weg. Er führt vom kleinen SD-Universitätsspitzel, der mit der Ueber- wachung von Professoren beginnt, schnurgerade hinauf -in die Umgebung Heydrichs, als dessen engster Mitarbeiter er Jahre in Bewunderung und gleichzeitiger ständiger Bedrohung verbringt. Schellenberg bekommt Lust und Liebe zu dem großen Indianerspiel im globalen Ausmaß, eine Auffassung der Arbeit des Geheimdienstes, der die führenden Männer des Dritten Reiches vor der nüchtern-pedantischen Kleinarbeit ohne Zweifel den Vorzug gaben. Mit sichtlichem Besitzerstolz berichtet Schellenberg zum Beispiel auch noch post festum von seinem Berliner Büro:

Mit nicht geringem Stolz betrat ich meinen künftigen Arbeitsraum, der mit allen Raffinements der Technik ausgestattet war. Neben einem großen Schreibtisch befand sich ein Rolltisch, auf dem mehrere Telephonapparate und Mikrophone standen. Unsichtbar waren in der Wandverkleidung sowie unter dem Schreibtisch und in der Lampe Abhörgeräte eingebaut, so daß fedes Gespräch und jedes Geräusch automatisch aufgenommen und registriert wurde. An den Fenstern fielen dem Eintretenden kleine Drahtquadrate auf; es waren dies elektrische Sicherungen, die ich abends beim Verlassen des Büros einschaltete und die sämtliche Fenster, Panzerschränke sowie die verschiedenen Eingänge des Büros sicherten. Die bloße Annäherung an die durch Selenphotozellen gesicherten Räum löste automatisch einen Vollalarm aus, der innerhalb von Sekunden die bewaffnete Wachmannschaft herbeirief. Mein Schreibtisch selbst war wie eine kleine Festung:, in ihm waren zwei Maschinenpistolen eingebaut, deren Läufe den Raum mit Kugeln bestreuen konnten. Sobald die Tür aufging, richteten sich die Läufe automatisch auf den Eintretenden. Im Falle der Gefahr hatte ich nur auf einen Knopf zu drücken, um die beiden Waffen in Aktion zu setzen. Mit einem zweiten Knopf vermochte ich gleichzeitig ein Sirenensignal auszulösen, wodurch das ganze Haus sofort von Wachposten in allen Aus- und Eingängen blockiert wurde. Von meinem Dienstwagen aus konnte ich auf eine Entfernung von fünfundzwanzig Kilometer telephonieren und meinen Sekretärinnen fernmündlich diktieren. Wenn ich auf eine Mission in fremde Länder ging, mußte ich mir befehlsgemäß einen künstlichen Zahn tiusetzen lassen, der' eine genügende Menge Zyankali enthielt, mich innerhalb vön dreißig Sekunden der ' Feirideihäud 'dP"iutziehen. AirßefdeUr trhg ich einen Siegelring mit einem großen blauen Stein, unter dem sich eine weitere Kapsel mit Zyankali befand...“ (Seite 182.)

Was aber Schellenberg über sein Milieu erhob, waren sein hellwacher Verstand und seine unzweifelbare Intelligenz. Sie allein verboten ihm jede zusätzliche Kompromittierung bei den Blutgeschäften des SD. Diese sagten ihm auch, daß dieser Krieg für Deutschland unrettbar verloren war. Und es blieb bei ihm nicht nur bei dieser Erkenntnis. So steht er im Sommer 1942 noch in Shitomir Himmler gegenüber, von dem er Pouvoir erhält, auf eigenes Risiko Friedensfühler nach dem Westen auszustrecken. So beginnt Schellenberg sein großes Spiel, das im Frühjahr 1945 seinen Höhepunkt in verschiedenen Zusammenkünften mit schwedischen Vermittlern, nicht zuletzt mit Graf Bernadotte, erlebt und das den Autor für eine Sekunde der Geschichte aus der Rolle eines fixen Technikers im totalitären Machtapparat zu einem Akteur auf weltpolitischer Bühne macht. Zu retten ist nichts mehr. Nichts mehr für das Reich, nichts mehr für Himmler — allein für Schellenberg ist viel zu retten: sein Kopf. Und so verläßt er auch Nürnberg als freier Mann, um zuerst in der Schweiz, dann in Norditalien, vom frühen Tod gezeichnet, in die Anonymität unterzutauchen. Vielleicht die größte Enttäuschung seines Lebens: „Von nun an wurden meine Dienste nicht mehr benötigt.“

Zur gleichen Zeit aber ist in Deutschland in einer unscheinbaren amerikanischen Baracke eine Gruppe von Männern mit dem Aufbau einer Dienststelle beschäftigt. Karteien werden angelegt, Eintragungen in Karten vorgenommen — die nüchterne Atmosphäre eines Büros regiert. General Gehlen, in dessen Augen im Gegensatz zu den Prätorianern des SD

Geheimdienstarbeit stets weniger eine Sache von Gift und Dolch, sondern eine des Rechenschiebers und der Hollerithmaschine war, machte sich wieder an die Arbeit. Seine Dienste wurden wieder benötigt. Solche Dienste werden wohl immer benötigt.

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