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Gruß nach Hollywood

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Mir persönlich war's ja nicht aufgefallen. Aber da saß unlängst mein kleiner Neffe neben mir im Kino, und als der Kriminalkommissar in einem unglaublich spannenden Moment gerade aus seinem Wagen ausstieg, um wenig später den Hauptverdächtigen zu verhaften, stieß mich mein kleiner Nachbar an. „Du”, sagte er, „die sperren nie ihre Autos zu.”

Ich konnte eine Diskussion während der darauffolgenden Verbrecherjagd mit Mühe verhindern, aber als wir anschließend auf ein Glas Limonade gingen, lag das Thema klarerweise noch in der Luft. Die Polizei sperrt ihre Autos nicht zu, vermeldete der aufmerksame Knabe, aber auch die Ganoven tun's nicht. „Sie werden eine Automatik eingebaut haben”, versuchte ich unbeholfen die Lage zu klären. Da kam ich schön an. Daß nämlich auch die miesesten Karren keinen Schlüssel zu Gesicht kriegten, wurde mir mitgeteilt, und die würden ja nun bestimmt keine automatische Zusperrvorrichtung serienmäßig aufzuweisen haben, erfuhr ich. „Sie lassen sie eben einfach offen”, räsonierte der Bub vor sich hin, und es war mir nicht klar, ob es ihm zusagte oder mißfiel.

„Sie waschen sich übrigens auch nicht die Hände, wenn sie nach Hause kommen”, sagte er dann nach einer Weile mit leuchtendem Blick; und daran sah ich schon eher sein Einverständnis. „Ganz tolle Männer und Frauen tun das nicht”, fügte er hinzu. „Immerhin. Aus Hollywood und so.”

Aha. Daher wehte der Wind. Die ganz Tollen aus der Traumfabrik waren wohl so etwas wie Vorbilder. Immerhin hatten sie's zu Ruhm und, wie man aus den Zeitungen weiß, auch zu Reichtum gebracht. Und das ganz ohne Händewaschen beim Heimkommen. ,

Es war sinnlos, jetzt mit dramaturgischen Gründen aufzufahren. Daß derlei im Rahmen einer Liebes-, Kriminal- oder Heimatfilmhandlung keine Rolle spiele, ja daß Händewaschen ganz im Gegenteil eher einer gewissen Langeweile Vorschub leisten würde. Derlei wäre unpädagogisch gewesen und hätte höchstens, was die Langeweile betrifft, kontraproduktiv gewirkt.

Und da fuhr mein Gesprächspartner auch schon mit seinem schwersten Geschütz auf. „Und bevor sie sich niederlegen, putzen sie sich auch nie die Zähne.” Ich war betroffen. Schnell ließ ich alle Filme, die ich bereits gesehen hatte und in denen Damen und Herren, getrennt oder gemeinsam, ins Bett gingen, Revue passieren. Tatsächlich. Weder Schneewittchen noch Cary Grant, weder Robert Redford noch Marilyn Monroe hatte ich je Zähne putzend auf der Leinwand angetroffen, und das eine Mal, als es Walter Matthau gemacht hatte, war's eher tragikomisch denn hygienisch zu verstehen gewesen. Da es mir die Rede verschlagen hatte, hörte ich von meinem Neffen nur noch ein triumphierendes „Eben”.

Als ich ihn am späten Nachmittag seinen Eltern übergab, hatte ich ein merkwürdig flaues Gefühl im Magen. Aber ich werde an Hollywood schreiben. Sie sollen die Kritik im nächsten Breitwandschinken gefälligst berücksichtigen.

Der zerstreute Professor macht sich nichts aus Bekleidungsvorschriften, gehört aber aufgrund seiner Position diversen Klubs an, wo solche hochgehalten werden. Erfreulicherweise kümmert sich die Frau Professor um solche Kleinigkeiten und hat vor ihrer Abreise zur Hochzeit ihrer Wahlnichte ihrem Gatten ein Verzeichnis der Bekleidungsvorschriften für die vier Veranstaltungen am Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag hinterlassen und Frack, Smoking, dunklen Anzug sowie Blazer und graue Hose bereitgelegt. Der zerstreute Professor hat ihren Zettel und die Einladungen zum Abendessen, zum Empfang, zum Cocktail und zur Ehrung verschmissen. Er erinnert sich nur, daß für das weder für Mittwoch, noch für Donnerstag geplante Abendessen weder Frack noch legere Kleidung in Frage kämen. Der Empfang sollte weder am Donnerstag, noch am Freitag stattfinden und in Hinblick auf den hohen Besuch war festlichste Kleidung angebracht. Für den Cocktail - weder am Dienstag, noch am Freitag, schied festliche Bekleidung aus, flir die am Mittwoch oder Freitag anberaumte Ehrung waren Frack und Smoking zu hochtrabend, legere Kleidung aber unangebracht. Und dann las der Professor in der Zeitung, daß das „hohe Tier”, zu dessen Empfang er geladen war, Mittwoch früh kommen und spätabends abreisen sollte.

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