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Hat lohende Feuerkraft

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Vor nahezu sechzig Jahren schuf Hofmannsthal seine Fassung des alten Spiels vom Jedermann. Er erklärte aber mehrfach, daß von Zeit zu Zeit Erneuerungen des Textes vorgenommen werden müßten. Da es sie aber bisher nicht gibt, wurde für die Aufführung am Salzburger Domplatz im Rahmen der Festspiele — nach Gottfried Reinhardt — eine abermalige Neuinszenierung dringendes Erfordernis. Sie gelingt Leopold Lind t-b e r g, er setzt die Vorgänge, bemerkenswert, gerade durch Akzentuierung des Religiösen stärker zu unserer Zeit in Beziehung.

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Vor nahezu sechzig Jahren schuf Hofmannsthal seine Fassung des alten Spiels vom Jedermann. Er erklärte aber mehrfach, daß von Zeit zu Zeit Erneuerungen des Textes vorgenommen werden müßten. Da es sie aber bisher nicht gibt, wurde für die Aufführung am Salzburger Domplatz im Rahmen der Festspiele — nach Gottfried Reinhardt — eine abermalige Neuinszenierung dringendes Erfordernis. Sie gelingt Leopold Lind t-b e r g, er setzt die Vorgänge, bemerkenswert, gerade durch Akzentuierung des Religiösen stärker zu unserer Zeit in Beziehung.

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Von Anfang an wird optisch betont, daß es sich um ein geistliches Spiel handelt: Der Spielansager ist nicht ein frisch-munterer Bursch, der vermutlich gerade von den Bergen heruntergesprungen ist, sondern ein Mönch. Und Gott, aber auch der Tod und der Teufel erhalten in der nunmehrigen Darbietung verstärkte Positionen, so daß der religiöse Gehalt der Dichtung auch für den wieder eindrucksam zu Bewußtsein kommen kann, der die frühere Inszenierung mehrfach gesehen hat. Nach den Worten des Ansagers setzt das Spiel mit gewaltigem Donnergetöse ein, als ob über die sündhaften Menschen schon jetzt insgesamt Gericht gehalten würde, als sei dies ein verkommenes Geschlecht, das der Vertilgung wert wäre. Sie ducken sich, halten die Ohren zu. Gott ist — entgegen der früheren Wiedergabe — mitten unter ihnen, aber sie sehen Ihn nicht, hören Ihn nicht, wollen Ihn nicht sehen, nicht hören. Verstocktes Menschengeschlecht, sagt man sich, das sind Menschen von heute im Kostüm von einst.

Der Tod ist in unserem Jahrhundert globaler Katastrophen keine feierliche Erscheinung, er war und ist den Menschen, immer wieder allzu gegenwärtig. In der von Max Reinhardt angeregten berühmten Bankettszene, die nun choreographisch aufgelöst ist — die Gäste sitzen und lagern um nur wenige kleine Tische über die Spielfläche verteilt — sitzt der Tod mitten unter ihnen, geht an ihnen vorbei, könnte jeden Augenblick diesen oder jenen ergreifen. Jedermanns Todesangst wird uns in dem Augenblick besonders eindringlich bewußt gemacht, als er seine Gäste im Totenhemd zu sehen vermeint und sie nun weiße Totenkopf-masken vor ihre Gesichter halten. Wenn dann alle den Tod sehen, ergibt ihr Schrecken gegenüber früher einen viel stärkeren Bewegungseindruck, da er nicht nur plan von der breit hingedehnten Bankettafel ausgeht, sondern räumlich von der ganzen Spielfläche.

Der Teufel ist in dieser Inszenierung kein Volksstückteufel, der durch komisch-schreckendes Getue mehr einem Kindermärchen anzugehören scheint als einer Dichtung religiöser Dimension. Nun tritt da von der Zu-schauertrilbüne her ein schwarzer

skurriler Federfuchser auf die Bühne, der rabulistisch sein Recht auf die Seele Jedermanns durchsetzen möchte. Damit wird eindringlicher als bisher das rational Unerfaßbare der inneren Wandlung Jedermanns dargetan. Um diese innere Wandlung geht es bekanntlich im „Jedermann“, um die Reue des selbstsicheren Genußmenschen, des Buhlers, Unterdrückers, Neiders, Hassers, eine Reue allerdings, die „lohende Feuerkraft“ besitzt und die Seele „von Grund auf“ umschafft. Es ist die kritische Stelle des Stücks: Reue kurz vor dem Tod wiegt ein Leben rücksichtsloser Selbstsucht auf. Nun steht Ernst Schröder als Jedermann vital mit beiden Beinen auf dieser Erde, man glaubt ihm die Härte des rein materiell eingestellten Reichen. Die innere Umkehr aber, die Reue, das Werden eines völlig neuen Menschen, ehe ihn das Grab aufnimmt, worauf es in diesem Mysterienspiel so sehr ankommt, darin überzeugt er nicht, er ersetzt dies durch eine fast kindlich weinerlich wirkende Angst vor dem Tod. Ewald Baiser ist als Gott ein ruhig überlegener Sprecher, dem Tod gibt Peter Arens die Kraft des Unbedingten, Unabänderlichen, die krächzende Stimme von Heinz Reinke paßt vortrefflich für den Teufel.

Christiane Hörbiger gibt der Buhlschaft Beschwingtheit, die Mutter ' i Edith Schultze-Westrum bleibt t. .vas farblos. Kurt Heintel ist ein reckenhafter Guter Gesell, dadurch wird der Bruch seines Treueversprechens eindrücklicher. Der dicke Vetter von Max Mairich, der dünne von Heinz Petters, sowie der Mammon von Heinrich Schweiger geraten in gewohnter Charakterisierung. Ganz erbarmenswürdige Schwäche sind die „Werke“ der Käthe Gold, einen „Glauben“ voll Ernst und Strenge verkörpert Gisela Matthi-sent. Der Spielansager des Ferdinand Kaup zeigt ruhige Haltung. Die in gedämpften Farben changierenden mittelalterlichen Kostüme, gut zur Domwand abgestimmt, entwarf Rudolf Heinrich, für die gewandte Choreographie zeichnet Dick Price, die sakral wirkende Musik komponierte Paul Angerer. Jedenfalls hat die Aufführung durch Leopold Lindtberg erheblich an Unmittelbarkeit gewonnen.

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