6667796-1960_44_14.jpg
Digital In Arbeit

Heimgang zu den groben Muttern

Werbung
Werbung
Werbung

IM BERLINER WESTSANATORIUM, Deutschlands Künstlermassenmausoleum, ist am 15. Oktober die deutsche Filmdarstellerin Henny Porten gestorben. Die Verlautbarung des Chefarztes, die Patientin habe ein langes chronisches Leiden gehabt, das schon vor einem halben Jahr erfolglos operiert worden war, läßt keinen Zweifel über die Art und die Heimtücke der Krankheit zu.

IHR IST GESCHEHEN, was Grillparzer das Bitterste von allem nennt: „Vermissen, was schon unser war, / Den Kranz verlieren aus dem Haar; / Nachdem man sterben sich gesehen, / Mit seiner eignen Leiche gehen.“ So sehr war sie, die einstmals vom unvorstellbaren ersten Weltstarruhm der Filmgeschichte Emporgehobene, zuletzt aus dem Gedächtnis der Mitlebenden gelöscht, daß die seriösesten Filmgeschichten heute nicht verläßlich entscheiden können, welches der verbreiteten Geburtsdaten das richtige ist: der 7. April 1888 oder der 6. oder 7. Jänner 1891 —eine Verwirrung, die die verschiedenen Angaben ihrer eigenen schriftstellerischen Arbeiten: „Wie ich wurde“ (Berlin 1919) und „Vom .Kintopp' zum Tonfilm“ (Dresden 1932) noch nähren.

Feststeht, sie stammt aus Magdeburg, und der Vater, der Opernsänger, Regisseur und mehrmals verkrachte Theaterdirektor Franz Porten, entdeckt früh ihr tänzerisches und komödiantisches Talent, läßt sie im Theater am Kurfürstendamm auftreten, nimmt sie auf Tournee (1903 bis 1907: Schweden) mit und dreht hierauf in Berlin mit ihr und ihrer Schwester Rosa bei Oskar Meßter frühe Tonfilme, Opernfilme, die Meßter Photophone oder Biophone nennt; ein Gounod-Faust und ein Lohengrin sind uns aus 1907 be-

BEI DEMSELBEN MESSTER kommt sie 1910 mit einem Filmstoff ihrer schriftstellernden Schwester und ihrer ersten Rolle an: „Das Liebesglück einer Blinden.“ Von da an geht es aufwärts. Nur ganz kurz versuchen Produktion und Publikum sie zur „jugendlichen Naiven“ zu stempeln, zum blonden, blauäugigen, bürgerlichen Gretchen (das sie auch war), aber überraschend schnell findet sie selber ihr ureigenstes Rollenfach und bleibt ihm jahrzehntelang treu: den sorgenden, leidenden, aufopfernden ehelichen und den verfemten, verfolgten ledigen Müttern. „Mütter, verzaget nicht“, heißt schon 1910 ein Filmchen; andere: „Mutter und Kind“, „Alles für mein Kind“. Ihr größter Erfolg aber schlägt ganz aus der Art: es ist 1920, ein Jahrzehnt später im Tonfilm wiederholt, die Doppelrolle eines ländlichen Aschenbrödelschwankes von Grell und Liesl: „Kohlhiesels Töchter“ unter Lubitsch' Regie. Aber auch literarischen Figuren, wie Rose Bernd, Anna Boleyn, Geierwally, gibt sie unter großen Regisseuren: Lubitsch, Pabst, Wiene, in dessen Passion „INRI“ sie die Gottesmutter spielte, Gestalt. Asta Nielsen, Emanuel Reicher, Emil Jannings, Jakob Tiedtke, Alexander Cranach. Werner Krauß und Fritz Kortner waren ihre Partner, und keine schauspielerische Kraft neben ihr konnte den Glanz ihres rührenden Ruhmes verdunkeln. 1921 gründete sie eine eigene Filmproduktion, die „Henny-Porten-Filmgesellschaft“, drei Jahre später erweiterte sie die Firma zur „Porten-Froehlich-Produktion GmbH.“. Sie stand auf der Höhe ihres Ruhmes.

ES IST NICHT RICHTIG, wie man immer wieder liest, daß sie der Tonfilm entthront hat — große Erfolge, wie „Skandal um Eva“, „Krach im Hinterhaus“ liegen ja noch nach 1929. Aber ein anderes dunkles Schicksal braute sich über ihr zusammen ...

HENNY PORTEN WAR IN ERSTER EHE seit 1914 mit dem Regisseur ihrer ersten Filme, Kurt Stark (gefallen 1916), in zweiter Ehe (seit dem 24. Juli 1921) mit dem jüdischen Arzt und Sanatoriumsbesitzer Dr Wilhelm v. Kaufmann verheiratet. Anders als Thea von Harbou, die sich nach der nationalsozialistischen Machtergreifung auf Geheiß bedenkenlos von ihrem Gatten Fritz Lang trennte, schlug Henny Porten alle ähnlichen Ansinnen aus und stand treu zu ihrem Mann. Das trug ihr jahrelangen Boykott ein. Carl Froelich ließ sie nicht fallen und unternahm einen künstlerischen Rettungsversuch: er übertrug ihr die Rolle der Wilhelmine Buchholz. Die Porten war glänzend, so gut, daß Göring sie nach Karinhall bat. Sie ging hin, weil sie sich Rettung für ihren Mann erhoffte. Aber das angebotene Kompromiß war für sie unannehmbar. So fiel sie endgültig in Ungnade.

In den Bombennächten des zweiten Weltkrieges floh Henny Porten mit ihrem Gatten nach Ratzeburg im Lauenburgischen. Das Kauf-mannsche Sanatorium war zusammengebrochen — Not, wirkliche Not stand vor der Tür. *

NACH DEM KRIEGE dauerte es viele Jahre, bis sich nicht Westdeutschland, sondern die ostdeutsche DEFA durch einen großzügigen dreijährigen Vertrag ihrer erinnerte und sie die Carlo Lamberti spielen ließ, die Geschichte einer ehemals berühmten Kunstreiterin ... Aber zu einem großen Comeback war es zu spät geworden. Ganze drei Rollen hat Henny Porten nach dem zweiten Weltkrieg noch gespielt.

Die harten, verworrenen, dämonischen Züge des Nachkriegsfilms standen zudem in schroffem Widerspruch zu der unkomplizierten, heiteren, klaren Art ihres Spiels. Diese Art hat sie auch einmal ein ästhetisches Bekenntnis ablegen lassen, für das unsere Zeit nur ein verächtliches Lächeln hat: „Es gibt im Leben soviel Häßliches... daß es nicht notwendig ist, noch Häßliches ist der Kunst zu bieten. Kunst muß schön sein ...“

Der Terror des Triebhaften und Dämonischen schloß vollends die stille, besinnliche Mütterlichkeit aus, die Henny Porten ein Vierteljahrhundert lang, neben der immer etwas anrüchigen Gloria des Vamps Asta Nielsen, zum Abgott des deutschen Films gemacht hatte.

SO WURDE ES STILL UND STILLER um sie. Als vor Jahresfrist ihr Mann starb, meinte sie, daß sie spätestens in einem Jahr bei ihm sein werde...

Und so ist es auch geschehen. Ihr Heimgang ist schmerzlich. Denn mit ihr versinkt nicht nur ein ganz bestimmtes, in seiner Art und am Heutigen gemessen großes Zeitalter des deutschen Films mit seinen Sternen Erna Morena, Lya de Putti, Hanni Weiße, Lya Mara, Wegener, Veidt, Liedtke, Albers, Bassermann und Steinrück,Krauß und Jannings; Henny Porten ist auch eines der letzten Sinnbilder aus der tausendjährigen Epoche der großen Mütter Europas.

Wehe den Besiegten: Nur die offenen Münder und gierigen Augen der Sextrampeln, nicht mehr die milden Ampeln mütterlicher Liebe leuchten unseren Tagen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung