6535064-1946_11_13.jpg
Digital In Arbeit

Herr Orel und Herr Adler

Werbung
Werbung
Werbung

Vergleicht man die Namen unserer Wiener Geschäftsleute, so fallen uns viele fremdsprachige auf, die größtenteils slawischen Ursprunges sind und nicht verstanden werden. So viele Jahre sich Herr Orel und Herr Adler auch kennen, sie ahnen meist nicht, daß beide aus einem Horste stammen. Die Träger des Namens Adler sind in Wien etwa sechsmal so zahlreich wie die Orel und können auch auf eine längere Seßhaftigkeit hinweisen, da die meisten Tschechen erst im 19. Jahrhundert nach Wien kamen, um in den damals entstehenden Industrien zu arbeiten. Ähnlich ist das Zahlenverhältnis bei den Familien Drozd, Drozda, Drost gegenüber den Trost, Troszt und Troschl, sie leiten sich alle von turda, dem lateinisdien Wort für Drossel, ab. Drossel selbst kommt indes in Wien als Name ebensowenig vor wie ein Herr Eule, der nur als Uhl(e) zu finden ist, während die Sova sprachlich sich nur durdi die Sdireibweise von den Sowa unterscheiden. Möglicherweise steckt die Eule in den Namen Uibel und Übel und in Zusammensetzungen wie Ubelacker oder Übelacker.

Merkwürdig geht es in der Familie Fink zu. Die tschechische Form pifnkawa, die offenbar dieselbe Vergangenheit hat wie Fink, fällt bei der Namengebung ganz aus, eine andere slawische Sprache springt in die Bresche. Mit dem russischen sjablik sind die Sablik, Sablich und Siblik verwandt, an Zahl sind ihnen die Wiener Finken um das Zehnfache überlegen. Auch beim Hahn sind die heimischen Vertreter zahlreicher tls die Koh(o)ut(h) und Kohoutek, ebenso überragen unsere Hennen (mit Hehn, Hendl und Hendel) die Schlepitzka und Silepicka (tschechisch slepice). Natürlich, möchte man fast

sagen, überwiegen nnsere Lerchen, wenn auch“ ihre Wiege nicht immer in Hernais stand, gegenüber Skriwanek, Kriwanek und Kriwa-netz. Die Form Krkavec liegt nur den Namen Krikawa und Krikowa zugrunde; der Rabe heißt im Tschechischen auch havran, dessen Angehörige Hawranek und Hafran etwas zahlreicher sind. Derselben Wurzel entspringt unser Rabe mit den Namen Raab und Rab(e) und Rapp(el). Der Schweizer Rappen (die Münze) wurde zuerst in Freiburg im Breisgan geprägt und zeigte einen Adlerkopf, der als Rabenkopf verspottet oder verkannt wurde. Nach dem Vogel ist auch das schwarze Pferd genannt. Im Vor- nnd Zonamen erscheint die Form -rarn zum Beispiel in Wolfram oder Bertram.

Das umgekehrte Verhältnis der slawischen nnd deutschen Bezeichnungen zeigen eine Reihe Vogelnamen. Der Name Straka (mit Stracka) begegnet uns in Wien viel häufiger als der Name Elster, auch wenn man die Atzel und ihre Zusammensetzung hinzuzählt; zur Zeit Walters von der Vogelweide hieß der Vogel auch Atzel. Vielleicht hat die diebische Neigung der Elster von ihrer Verwendung als Name abgeschreckt. Warum aber vermissen wir den Namen Fasan m Wien ganz, während Bazant, Baschant und

Paschanda doch einige Male vertreten sind? Auch daß Slawik und Slawitschek allein den Ton angeben, statt unserer Nachtigall, gibt zu denken, ohne gleich bedenklich zu sein. So mußte auch unser Star (bis auf zwei Staare) vor den( Spacek das Feld räumen. Doppelt so stark ist die Familie Holub mit Gollob als unsere Familie Taube(r). Unser Rotkehlchen ist aus der Namenliste ganz verschwunden, während uns Herr Cerwenka sehr geläufig ist. Auch die Turteltaube kann sich mit Hrdlicka und Herlitzka nicht messen (Verhältnis 17:1). Ungefähr ein Drittel der Bezeichnungen von Sperling und Spatz fallen auf deutsche Namen (Sperk und Spork reihen sich hier ein), die anderen zwei auf Wrabetz, Brabec, Brabenetz mit den verschiedenen Schreibweisen. Der Familie der Sperlinge schließen sich die Familien Sper-vogel an; der Sperber (aus Mittelalterlichem sperwaere) lebt auch als Wort vom Sperling, der Spatz ist eine oberdeutsche Koseform von spar.

Gans, Huhn und Krähe halten in Wien ihren tschechischen Partnern die Waage. Neben Gans ist hier Ganser, Ganz, Ganter und Gantzfuß anzuführen, die andere Seite setzt sich aus Husa, Huß, Hussak mit geringen Schreib- und Lautverschiedenheiten

zusammen. Spärlich sind die Familien Huhn wie die Kure, Kusche und KuMtko. Die Krähe hieß im Mittelalter krä (daher die Namen Krabichler, Krawinkler, Kravagna), kreie (daher Krey, Kreihanzl und Kreiger) und krowe (daher Kroh). Ebenso zahlreich sind die Familien Vrana, Frana, Fran(n)er.

Zwei unserer Vogelnamen sind nach Auskunft der Sprachwissenschaft aus dem Tschechischen im Mittelalter zu uns gekommen: Zeisig und Stieglitz. Mannigfache Schreibweisen haben die Familien Cizek erhalten, die dem Zeisig an Zahl weit überlegen sind; wer möchte deshalb unserem Zeisel das Heimatrecht in Wien streitig machen? Ebenso sind die Stehlik und Stehlicek bei uns zu Hause, die sich im Mittelalter in den Stieglitz verwandelten. Unangefochten blieb die Herrschaft unseres „Vogel“, neben dem Ptak, Ptacek und Tatschek einen bescheidenen Raum einnehmen.

Dieser kleine Ausschnitt aus den sprachlichen Verbindungen mit dem Tschechischen, der häufig gemeinsame Ursprung der Wörter und die heute noch erkennbare Ähnlichkeit soll das Bewußtsein stärken, daß die Völker Europas eine zusammenhängende Sprachfamilie darstellen, der Ruhe und Verträglichkeit dringend not tun.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung