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Heulender Müller

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Büchern geht es oft wie Bittstellern, jahrzehntelang müssen sie ohne erkennbaren Grund vor einem Sprachraum warten. „Der heulende Müller” des Finnen Arto Paasi-linna, geschrieben 1981, erscheint erst jetzt bei uns. Wie wird man den Fremden hier nun aufnehmen?

Ein Fremder taucht eines Tages in einem lappländischen Dorf auf, kauft gegen allen ökonomischen Verstand die verfallene Mühle und bringt sie mit Geschick und Zähigkeit zum Laufen. Das Dorf sieht den Fortschritt gern. Aber der Einzelgänger hat seine Eigenheiten: er heult wie ein Wolf im Wald, was alle, von den Hunden bis zum Pastor, um den Nachtschlaf bringt. Die Zuspitzung ist unvermeidlich, die Dorfgemeinschaft weiß nichts andres, als den Neurotiker ins Irrenhaus zu stecken. Katastrophe für den Helden.

Aber der Müller entkommt. Als steckbrieflich Gesuchter richtet er sich im Wald ein wie ein Robinson. Von dort her schraubt er sich vollends in die Kriminalität, wenn er sich seine eigenen Sachen holt und dabei als Entmündigter zum Räuber wird. Die Treibjagd auf ihn wird schließlich zur Armeesache. Aber er ist nicht zu fassen, erst die infame Vortäuschung der Begnadigung bringt ihn in die Falle. Abtransport. Zweite Katastrophe. Der Autor wählte ein surreales Happy-End: Der Deportierte kehrt als echter Wolf zurück und heult nun schauerlicher als je zuvor. Doch das ist nur ein Schnörkel; das Wesentliche liegt anderswo.

Der Müller ist ein Katastrophen-typ, er wird von einer in die andere gerissen, muß ständig in Bewegung sein, ist permanent bedroht wie ein Soldat Schweijk. Er überlebt wie dieser, doch wortärmer, weniger konziliant, grimmiger. Nur zwischen den Katastrophen liegen die kleinen Paradiese. In dem Maße, wie das Unglück wächst, wachsen ihm Freundschaften zu, ohne Pakt und Pathos, von innen her unzerstörbar wie die Verwandtschaft Artgleicher. Auch eine Frau hält zu ihm, unwirklich-erträumt fast, obwohl sie'ihm höchst praktisch Speck und Kuchen in die Wildnis bringt.

So ist das Weltbild hinter all den empörenden Geschichten ermutigend. Für Untaten gibt es eine ausgleichende Gerechtigkeit, nicht moralisierend, eher nebenbei. Der Kommissar schlägt den Häftling blutig; später wird er vom Wolf auf einen Baum getrieben, wo „ihm die Schlaghand erfriert”. Dingwelt und Überwelt sind dem Sensiblen zugänglich: Der Christus des Altarbilds spricht brüderlich* mit dem Verfolgten. Und die Balken seiner Mühle besänftigen den Wutrasenden so weit, daß er das Haus nicht anzün-. det; er steckt dafür die Kirche an ...

Ob man den Paasilin-na'schen Humor zum Stil oder zur Botschaft rechnet: jedenfalls ist er das scharfe Mittel, um die bös' verstellte Welt zurechtzustellen. Er ist sparsam verteilt, pokergesichtig und zielt auf die Gewaltsysteme: Verwaltung, Amtskirche, Ärzteallmacht, Banken, Militär. Er hat die Mitleidenden auf seiner Seite, nie die Triumphierenden.

Die deutsche Übersetzung ist vorzüglich. Der Aufnahme des verrückten, wilden, so sympathischen Müller-Wolfs bei uns stünde nun nichts im Wege.

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