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IM STREIFLICHT

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EN Stein aus der Krone fiel dieser Tage zwei bekannten österreichischen Künstlern (Brüdern), als sie vor Gericht in einem Prozeß mit reichlich mysteriösem kriminellem Hintergrund das unwürdige Schauspiel eines haßerfüllten Familienzwistes mit Verdächtigungen, Anschuldigungen und Beschimpfungen gaben. Ernüchtert verließ das Publikum den Saal — wie nach einem schlechten Film. Es hat einmal vorübergehend im Gesetz einen „Desillusionierungs-paragraphen“ gegeben, der von Staats wegen die Künstlerpersönlichkeiten vor allzu intimen Veröffentlichungen (zu denen beispielsweise Ateliertricks, aber auch Alter und Geburtstag gehörten) schützen sollte. Das mag vielleicht übertrieben gewesen sein. Aber wenigstens vor so brutalen Entgötterungen, wie es dieser immer noch laufende Gerichtsfall darstellt, sollten sich eigentlich die Künstler selber schützen. Mag in Hollywood eine solche Publicity durchaus erwünscht sein — hierzulande kann sie dem künstlerischen Rufe der Beteiligten nur abträglich sein.

AN der Arbeit der Wiener Kelleebühnen kann man Sinn und Bedeutung der gegenwärtigen Theatersituation am einleuchtendsten kontrollieren. Vor 25 Jahren wären solche Unternehmungen zum Scheitern verurteilt gewesen, .. . weil unsere Generation gar nicht fähig gewesen wäre, ohne jede staatliche und private Hilfe Theaterunferneh-mungen so perfekt aufzuziehen, wie es die jungen Leute von heute können. Wieso sie das können, ist ihr Geheimnis... Und wenn Wien heute noch eine Theaterstadt genannt werden darf, so müssen wir uns eigentlich alle vor den Kellerbühnen verneigen, die nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, daß unserer Stadt dieses Prädikat erhalten werden konnte. Von den Aufführungen, die sie uns gezeigt haben, waren einige interessant, einige nicht ganz gelungen, und einige wiederum hatten fast weltstädtisches Format. — Diese Worte hat nicht der Leiter eines Kellertheaters und nicht ein avantgardistischer Kritiker ausgesprochen; einer unserer bedeutendsten Regisseure — O. F. Schuh — hat sie einer Kellerbühne ins Programmheft geschrieben; und da er's ja wissen — oder sogar besser wissen — muß, seien sie hier noch einmal festgehalten.

DER Rotstift fuhr, einer spielerischen Laune ge-horchend, über die letzte Seite eines Wiener Mittagblattes vom 19. März, machte Strichelchen ob jedem Interpunktionszeichen, blieb verblüfft in der rechten unteren Ecke stehen und tippte schließlich zählend noch einmal über das ganze Blatt; und da stand nun das Ergebnis: 174 Punkte, 20 Doppelpunkte, 68 Klammern, 13 Bindestriche. Kein Fragezeichen, kein Rufzeichen, kein Gedankenstrich, kein Semikolon! Statistik einer Sprache, , die hart und nuancenlos — nein. Der Rotstift wollte nicht ungerecht sein, denn er hatte sich auf einer Sportseite betätigt und die Sprache des Sports ist eben: hart und nuancenlos; also machte er sich über die letzte Seite einer anderen Mittagszeitung her, über die neuesten politischen, wirtschaftlichen und sonstigen Nachrichten. Aber das Ergebnis war noch trauriger: hier gab's nicht einmal Bindestriche... Nur in den Kulturteil-Oasen fanden sich noch Strichpunktbeete; Frage-und Rufzeichenplantagen; Pünktchenrabatten und Gedankenstrichspaliere — kleine Inselchen, umgeben von ausgedörrten, verholzten Punkt-Komma-Punkt-Geröllen. Schade! (Rufzeichen.)

EINE Sportsensation, nein: die Sportsensation der letzten Tage war der Sieg eines englischen Boxers, der in Hypnose seinen gefürchteten Gegner k. o. geschlagen hat. Kein Wunder, daß die Augen des Lesers wie hypnotisiert auf dieser Meldung haften blieben — man stelle sich nur vor, welchen Aufschwung zum Beispiel das Wiener Kunstleben durch etliche Hypnose-Lehrgänge erleben könnte: Die Schauspieler würden in posthypnotischem Auftrag noch besser, die Musiker noch klangreiner spielen, der Kritiker könnte dem Künstler suggerieren, ihn auch dann nicht für einen Volltrottel zu halten, wenn die Kritik negativ war. Wenn nicht überhaupt der Unfug des Kritikenschreibens aufhörte und die Kritiker (natürlich nur nach besonders ausgiebiger Hypnose) sich in Lobsänger verwandelten, versteht sich ...

VON einem Programmheft, das man sich vor dem Konzert kauft, erwartet man etwas mehr als die Titel der Werke und die Namen der ausfahrenden Künstler. (Diese stehen nämlich meist auch auf den Plakaten!) Besonders kommentarbedürftig sind neue Werke, und unter diesen wieder Ur- und Erstaufführungen. Auf den Programmen des Zyklus „Musik der Gegenwart“, den die Ravag gemeinsam mit der Gesellschaft der Musikfreunde veranstaltet, werden dem Publikum diese Erläuterungen hartnäckig vorenthalten. Da wiederholt — und nicht nur von uns — auf diesen Mangel hingewiesen wurde, ergibt sich die Frage: will man nicht (aus „Bestemm“) oder kann man nicht, das heißt: traut sich niemand, ein zeitgenössisches Werk zu analysieren und vorzustellen?

NICHT übermäßig schön ist der Vorprospekt ' der Salzburger Festspiele: die Titelvignette im Stile der zwanziger Jahre könnte wohl endlich durch eine etwas modernere wie anmutigere Graphik ersetzt werden. Aber noch weniger schön ist der Vorprospekt der Wiener Festwochen, der mit etwas geschmückt ist, was man im besten Fall als „Bülderln“ bezeichnen könnte. — Doch, doch: das lohnt sehr wohl einige kritische Zeilen. Denn ein Loch im Tischtuch kann ein Gala-Essen verderben.

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