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Der Naturalismus, der die äußere Erscheinung der Wirklichkeit kopiert, wurde noch vor kurzem von maßgeblichen Kritikern als endgültig überholt bezeichnet. Neuestens aber entstehen wieder, in Gegenbewegung zu den „absurden“ Bühnenwerken, naturalistische Stücke. Dazu gehört das Schauspiel „Die „Einladung“ von Jochen Ziem, das derzeit im Volkstheater, Zyklus „Konfrontationen“, aufgeführt wird. „Warum nicht abfotografieren?“ fragt der junge Autor. Die Montage von Tonbandaufnahmen wäre sein Ideal.

Zu einem Ost-Berliner Ingenieur und seiner Frau kommen Tochter und Schwiegersohn aus Düsseldorf zu Besuch, Sohn und Schwiegertochter finden sich ein. Der Ingenieur, 65 Jahre alt geworden, könnte nach Düsseldorf übersiedeln, aber es springt in dieser Familie nach kurzer Wiedersehensfreude, vor allem bei den in Ost-Berlin aufgewachsenen Jungen, so viel gegenseitiger Haß auf, daß die anfangs ausgesprochene Einladung nicht erneuert wird. Im besonderen ergeht sich der Sohn aggressiv in gallbitterem Spott gegen alles und jeden. Er verschwindet, vermutlich versuchte er die Mauer zu passieren, ob er erschossen wurde oder nicht, bleibt offen.

Jochen Ziem, der bis 1956 in der DDR lebte, bietet hier einen Einblick in eine Ost-Berliner Familie, wobei die politischen Zustände keineswegs angeprangert werden. Der Ingenieur, Altkommunist, will in Ost-Berlin bleiben, die Schwiegertochter ist mit den dortigen Lebensverhältnissen durchaus zufrieden und der Sohn erweist sich als ein Querulant, der im Westen zweifellos ebenfalls stänkern würde. Was soll also dieser Familienmief? Die Dimensionen Strindbergs fehlen. Jochen Ziem erklärt, es gehe ihm um die „Aufzeichnung von konkreten, überprüfbaren Informationen“. Aber worüber informiert dieses naturalistische, fast völlig handlungslose Stück? Darüber, daß man sich in Ost-Berlin an die Zustände gewöhnt? Das ist als Stellungnahme zu wenig. Daß sich die Sprache der Menschen aus Gemeinplätzen und Redensarten zusammensetzt? Ziem hebt dies besonders hervor. Doch um uns auf derlei aufmerksam zu machen, benötigt man kein Stück. Ionesco operierte mit diesen Sprachmitteln, aber er blieb nicht im Naturalistischen hängen, er übersteigerte die Banalität. So sei Georg Lukäcs zitiert, der den Naturalismus als

eine tadelnswerte Kunstauffassung bezeichnete, da der Stoff über die Idee vorherrsche. Bei Ziem gibt es nicht einmal den Ansatz einer Idee.

Der Regisseur Erich Margo glaubte, die „Mauer“ als Hintergrund optisch präsent machen zu müssen, um die vom Autor verwischten politischen Gegensätze stärker ins Bewußtsein zu heben. Das Bühnenbild von Brigitte Brunmayr zeigt einen beabsichtigt muffig wirkenden Wohnraum. Dem Regisseur gelingt eine dichte Aufführung. Gustau Dieffenbacher ist als Ingenieur überzeugend der Schwächling, der sich ständig vor sich selbst rechtfertigt. Margarete Fries gibt der hennenhaften Mutter begütigende Besorgnis. Christine Buch-egger und Regine Felden, Tochter von Heidemarie Hatheyer, zeichnen Tochter und Schwiegertochter mit unterschiedlicher Aggressivität.

Rudolf Strobl glaubt man den spießig-selbstzufriedenen Erfolgsmenschen aus Westdeutschland. In der zweiten Aufführung, die ich sah, las wegen Erkrankung von Heinz Petters der Regisseur die Rolle des Sohns. Vielleicht geht es in vielen Familien ähnlich wie in diesem Stück zu. Das Publikum spendete auffallend reichen Applaus.

Das Volkstheater führt in den Außenbezirken immer wieder Meisterwerke der Dramatik früherer Zeiten einem Publikum vor, das vielleicht noch nie Afführungen dieser Stücke sah. Die Reihe der Darbietungen eröffnete in der laufenden Spielzeit die Wiedergabe des Trauerspiels „Kabale und Liebe“ von Schiller in der straffen Inszenierung von Gustav Manker, mit einem freilich allzu gekürzten Text, wodurch wesentliche Szenen fehlten. Ingrid Fröhlich ist als Luise ganz schlichtes, beseeltes Bürgermädchen; eine treffliche Leistung. Klaus Höring bringt für den Ferdinand das Feuer mif. Viktor Gschmeidler überzeugt als Präsident. Mit süffisanter Kühle spielt Wolfgang Hübsch den Wurm. Jutta Schwarz erweist sich in der Rolle der Lady Milford als völlige Fehlbesetzung. Oskar Wegrostek ist ein polternd-gutmütiger Miller, Marianne Gerzner wirkt als dessen Frau allzu ordinär, Albert Rolant gibt dem Kalb die Grimasse der Dummheit. Das Bühnenbild von Gustav Manker, das man bei der Premiere im Haupthaus sah, leidet darunter, daß es für kleinere Bühnen verwendbar sein muß.

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