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„Iphigenie" und „Lokomotive"
„Iphigenie. auf Tauris“ steht, zu Bregenz in persönlicher Beziehung. Als Goethe am 12. Juli 1788 im nahen Fußaoh nächtigte, batte er eben in Italien seine „Iphigenie“ vollendet, für die ihm din Rom die Bregenzer- wälderin Angelika Kauf f mann, deren Lebenswierk im heurigen Sommer Im Museum neben dem Bregenzer Komkammertheater zu sehen ist, ein wenig Modell ¡gestanden war.
, ..Klassiker“ in die Moderne zu stellen, bedeutet immer ein kleines Wagnis. Festredner und Deutschlehrer haben dafür gesorgt, die „Klassiker“ aus der Welt des Lebens in die Scheimwelt der Deklamation zu rücken. Daß selbst die „Iphigenie“, Goethes Umkehr vom Sturm und Drang des „Götz“ zum strengen Stil der Griechen, gegenwartswirksam ist, bewies die Aufnahme beim sommerlichein Festspielpublikum in Bregenz, bewies vor allem die Interpretation durch das Wiener Burgtheater. I
An der Spitze der Darsteller stand Judith Holzmeister, Prilesterin zugleich der schwesterlichen Liebe und der unabdingbaren Wahrheit. An dieser Gestalt müssen die Raehegöt- tinnen abprallen. Dazu Walter Reyer als Orest, dem allerdings die Dämonie des Gehetzten besser liegt als die verklärte Ruhe des Erlösten. Wolfgang Stendar als treuer Freund Pylades, Erich Auer als König Thoas und Gerhard Gelder als Arkäs stehen hinter den • beiden Trägern “Her Handlung zurück.
Wie Thersites neben Achilleus steht „Die Lokomotive“ des Franzo-
sen André Roussin neben der „Iphigenie“. Literarische oder gar moralische Maßstäbe an dieses Stück zu legen, wäre verkehrt; man lacht zweieinhalb Stunden lang, und das ist auch etwas wert. Die russische Emigrantin Sonja hat sich in eine vor der Revolution spielende Liebesgeschichte hineingeträumt, sie hat ihre Ehe mit einem logisch denkenden Franzosen nur in der Erinnerung an jenen Kostja geführt, in dem sie sogar den Vater ¡ihrer längst in der Ehe geborenen Tochter erblickt, sie lebt einem Mythos, der an jenem Tage platzt, an dem der totgeglaubte Kostja auf taucht, der die ganze Traumwelt ohne böse Absicht zerstört. Der Mythos ist tot, ein echt russischer Rechenkünstler, der nach mehrmaliger Witwerschaft spürt, daß etwas zu holen ist, bleibt. Daß Sonjas Tochter und Enkelin gleichfalls in erotischen Traumwelten leben, versteht sich ebenso, wie daß nach affen Irrungen und Wirrungen das Spiel für alle Beteiligten gut ausgehen muß.
Gäbe es nicht eine Bombenrolle für Alma Seidler, könnte diese „Lokomotive“ nicht über die Bretter fahren. Wie sich die Tochter eines k. k. Ministerpräsidenten in eine hysterische Vorkriegsrussin mit französischem Esprit findet, ist einfach beispiellos. Wie eine Kaskade prallen die Wortmontagen auf den Zuhörer nieder; trotz der dünnen Handlung reißt die Spannung nicht ab. Neben Alma Seidler beherrscht nur eine zweite Gestalt die Bühne: Manfred Inger als jener sagenhafte Kostja, der, ohne es zu wissen, eine durch ein halbes Jahrhundert getragene Lebenslüge zerreißt. (Ibsen hätte aus dem Stoff ein tiefsinniges Drama gemacht )
In seiner primitiven Bauernschlauheit, in seiner Liebe zum Alkohol und seiner phänomenalen Rechenkunst ist jener Kostja der Urtyp jenes Russen, wie man ihn sich vor der Revolution im Westen dachte; er packt alles möglichst dumm an und kommt damit am besten zum Ziel. Leider steht Philipp Zeska als der Ehemann der etwas schwierigen Sonja im Schatten jenes Kostja und doch wird er als gepflegter Franzose zum drastischen Gegenstück. Angelika Hauff als Tochter und Sylvia Lukan als Enkelin müssen ebenfalls ihre Liebesabenteuer durchstehen, doch wirken diese ein wenig als Parallelfälle’ zur jugendlichen Mama und Großmama, die, als sie selber ‘am Ende ihres Liebeslebens ange- Iangt ist, zum Beruf der Ehestifterin findet. Heinz Sonnbichler als Enkel kommt mit seiner Rolle wenig dazu, sein Können zu entfalten.
Mit Ferdinand Raimunds „Barometermacher auf der Zauberinsel“ .schloß das Wiener Burgtheater sein Bregenzer Gastspiel 1968 ab.
Hans Huebmer
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