Pollatschek.jp - © Foto: picturedesk.com / dpa / Jens Kalaene

„Kleine Probleme“ von Nele Pollatschek: Der Mann, dem fast alles misslingt

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Mit der feinen Klinge des Humors porträtiert Nele Pollatschek in ihrem neuen Roman „Kleine Probleme“ einen vom Leben überforderten Aufschiebeweltmeister und Antihelden.

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Mit der feinen Klinge des Humors porträtiert Nele Pollatschek in ihrem neuen Roman „Kleine Probleme“ einen vom Leben überforderten Aufschiebeweltmeister und Antihelden.

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In ihrem 2016 erschienenen Debütroman „Das Unglück anderer Leute“ ließ die promovierte Anglistin und Essayistin Nele Pollatschek eine Mittzwanzigerin über ihr komplexes (Familien-)Leben nachdenken. Nun – in ihrem neuen Roman „Kleine Probleme“ – nähert sie sich einer anderen Altersgruppe: Familienvater Lars Messerschmitt ist Ende vierzig und dennoch weit vom Status eines reifen, in sich ruhenden Erwachsenen entfernt.

Spätestens zu Silvester will er Bilanz ziehen. Dann geht es darum, alte Fehler abzustellen und mit nichts als guten Vorsätzen ins neue Jahr zu rutschen. Kluge Menschen bereiten diesen Jahreswechsel akribisch vor – und erstellen Listen mit all jenen To-dos, die es schnellstmöglich bis Mitternacht abzuarbeiten gilt. Auch Lars arbeitet so, nein, versucht, so zu arbeiten.

Nun eilt es freilich sehr. Eigentlich wollte Lars ja die „Zeit zwischen den Jahren“ nutzen, um – nicht zuletzt seiner Familie zuliebe – all die Dinge zu erledigen, die das ganze Jahr über hätten erledigt werden sollen. Doch Lars, ein Meister der Prokrastination, scheint selbst zum Jahresende hin keine Eile zu kennen. Er raucht, blickt aus dem Fenster, und plötzlich bleibt ihm nur noch der Silvestertag, um das Versäumte nachzuholen. Mit Schrecken blickt er auf seine mühsam erstellte To-do-Liste, die stattliche 13 Punkte umfasst.

Nur wenige Stunden noch, um die Unterlagen für die Steuererklärung herauszusuchen, seinen Vater anzurufen, das Bett seiner Tochter zusammenzubauen oder einen schmackhaften Nudelsalat zuzubereiten, zur Krönung der Mitternachtsfeier bei seinem Sohn Yannis. Gute Vorsätze sind schnell gefasst; sie umzusetzen ist eine ganz andere Sache – erst recht für einen Dauerzauderer wie Lars, der bereits banalsten Alltagsanforderungen hilflos gegenübersteht: „Das Rezept für die Brille und diese komischen Einaugenpflaster abzuholen ist schwer. Die Antibiotika gegen die Mittelohrentzündung wirklich jeden verdammten Morgen zu geben. Die Wäsche nicht in der Maschine vergammeln zu lassen, donnerstags an den Turnbeutel denken, sich daran erinnern, dass doch dieses Halbjahr Schwimmunterricht ist, das Kind zum Reiten fahren und es um Gottes willen danach wieder abzuholen, das Kind nicht immer irgendwo stehen zu lassen, nicht immer irgendwas zu vergessen, das alles zu kontrollieren, als wäre man Familienvater und nicht nur irgendein Komparse, der sich in diese Rolle verirrt hat und jetzt so tun muss, als wäre sie für ihn geschrieben.“

Lars ist ein Prachtexemplar überforderter Mann. Nele Pollatschek zeigt ihren Antihelden als Aufschiebeweltmeister, als einen, der in einer aufs Funktionieren bedachten Gesellschaft zu nichts zu gebrauchen ist und sich zum Gespött seiner Familie macht. Auch seine berufliche Karriere stockt – wenn dieser Begriff für sein Tun nicht ohnehin unangemessen wäre. Vor acht Jahren hat er einen Job beim Fernsehen aufgegeben, um sich uneingeschränkt der Schriftstellerei zu widmen. Ein „Lebenswerk“ will er schaffen, von einer Qualität, wie es die Welt noch nicht gesehen hat.

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