6546065-1947_16_04.jpg
Digital In Arbeit

Kreuzzug des Friedens

Werbung
Werbung
Werbung

„Lebensrausch und Machttaumel trüben unserem Volke den Blick. Ich aber sehe den Tag, da verhärmte Mensdien in abgesdiabten Kleidern, geführt von leid-gebeugten Priestern, das Kreuz Christi durch verwüstete Städte tragen und sühnend Gott dm Herrn um Erbarmen anflehen.“ Das sagte ein Missionar, der im Frühjahr 1937 in der zur Kapelle verwandelten Baracke einer westdeutschen Vorstadt die Fastenpredigten hielt. Wie viele seiner Zuhörer mögen ihn damals verstanden, wie viele kopfsdiüttelnd abgelehnt haben? Heute aber wird mandier sich mit Betroffenheit der prophetusdicn Worte erinnern; sie sind grausaniere Wahrheit geworden, als der Prediger selbst geahnt haben dürfte.

„Herr, gib, daß Hunger und Not überall, so auch in deutschen Landen aufhören, daß Flüchtlinge und Vertriebene ein Obdach finden, und hilf- vor allem denen, die ganz und gar in Verzweiflung sind und ohne Hoffnung! — Herr, gib, daß aus den Trümmern wieder menschenwürdiges Leben erwachse, in dem jeder zum eigenen Wohle wie zum Wohle der Menschheit arbeiten kann! — Herr, schenke diesem geschlagenen Volke den Frieden! — Gib seinen Frauen die Männer, seinen Vätern und Müttern die Söhne wieder, schenke den Familien die Kriegsgefangenen zurück I Schenke einem jeglichen jenen Frieden, den dein Sohn Jesus Christus allen verheißen hat, die guten Willens sind!“ In diesem inbrünstigen Gebet verbanden sich in den Städten des deutschen Westens Tausende von Christen aller Bekenntnisse. An einem grauverhangenen Tag strömten sie auf einem Platz inmitten der Ruinen zusammen, hörten die Notrufe aus deYn Munde ihrer Seelsorger hinausschreien in die ringsum schweigenden Trümmer, in die haßgeblendete Welt, sangen dunkle Choräle und beteten in gewaltigem Chor: „Unser täglich Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld ...“ Dann schulterte einer das wuchtige Kreuz, die Geistlichen aller Bekenntnisse scharten sich om ihn, und dahinter formierte sich in Achterreihen ein schier endloser Zug, hier zehntausend, da fünfzehntausend, dort 25.000 verhärmte Menschen in abgeschabten Kleidern zu stummem Bitt- und,Opfergang durch die Straßen.

Verwischt waren die Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen Men-noniten und Baptisten. Mensdien waren es, die da ohne Musik, ohne Fahne, ohne Wort Stunde um Stunde einherzogen, Christen, die darauf hofften, daß ihr Notruf nicht ungehört verhallen würde. Aber sie baten und flehten nicht nur, sie opferten auch Auf Zetteln, die 8ian zuvor verteilt, verzeichnete ein jeder seine Gabe: Geld, Sachwert oder Patenschaft Über einen verwaisten Menschen, eine vertriebene Familie. Viele hatten nicht mehr als „das Scherflein der Witwe“, doch am Ende ergab sich überall der Beweis unerwarteter Opferfreudigkeit Als der Abend die Trümmer und Bunker in seinen bergenden Mantel hüllte, stieg aus den Kirchen, den Krypten und zu Kirchen gemodelten Sälen und Stuben ein erschütterndes Dank gebet auf.

Das war das „C h r i s t e n o p f e r'.'. Ein mennonitischer Prediger und ein katholischer Geistlicher, beide jung, in den Bitternissen des letzten Krieges gereift, hatten es angeregt und damit nicht nur in der Stadt ihres Wirkens, sondern weitum im rheinischen Land Widerhall gefunden. Es soll Jahr für Jahr wiederkehren, aber bis das geschieht, geht ein anderes Kreuz durch die Städte und Dörfer des todwunden Westens, bis es am Michaelstag im hohen Dom zu Aachen feierlich empfangen wird Zu einem „Kren z-zug des Frieden sÄrugen es katholische Männer am K a r f rWi tag, um die dritte Nachmittagsstunde aus, nachdem das von Künstlerhand gefügte, fünf Meter hohe Holz in der Hauptpfarrkirche ihrer Stadt die Weihe und Sendung bekommen hatte. Von Pfarrgrenze zu Pfarrgrenze wanderte es bis vor die Tore der Stadt. Dort nahm eine Dorfpfarre das Kreuz in seine Obhut, und so'zieht es nun in pausenlosem “Zug von Ort zu Ort,- von Kirche zu Kirche. Die Männer, die es tragen, gehören der katho-lisdien Mannerbewegung (KMB) an, die ein heimgekehrterFricstersoldat in einer Industriestadt am Niederrhein ins I-eben gerufen und die heute, vom Bischof wesentlich gefördert, die Grenzen der Diözese bereits weit hinter sich gelassen hat. Woche für Woche vereinen sich die Glieder der KMB in ihren Pfarren zum „Männeropfer für Deutschland“, £ür ihr Volk, für das sie nun den „Kreuzzug des Friedens“ unternommen haben.

Indessen reicht ihr Anliegen weiter; es schließt nicht allein den äußeren Frieden ein, sondern nicht weniger den inneren. Wache Christensorge denkt der mannigfachen Nöte und Aufgaben, die aus den Spannungen etwa zwischen dem Kreis der „beati possidentes“ und der Unmenge von Heimat- und Mittellosen, zwischen Christentum und Sozialismus, zwischen Mensch und Technokratie, zwischen Gottesgebot und Sittenverfall entstehen. Stellung und Auftrag des Laien inner- wie außerhalb der Kirche wird lebhaft erörtert. Über alles jedoch erhebt sich das heiße Sehnen und Bemühen, zwischen den Konfessionen „schöpferischen Frieden“ zu begründen und „alle eins werden“ zu lassen.

Matthias Laros gehört zu den bedeutendsten Wegbereitern dieser Bestrebung, und wenn sie inzwischen beinahe zu einer Bewegung geworden ist, so darf das zu den Verdiensten des auch heute unermüdlich wirkenden Vorkämpfers christlicher Eintracht gezählt werden. Neben ihn sind andere Streiter getreten, .Sie kommen aus protestantischem und katho, lischem Lager ebenso wie aus baptistischem und mennoniti-schem. Sie finden sich in den „christlichen Arbeitsgemeinschaften“, in den Arbeitskreisen der „Una saneta“. Sie sprechen bald in diesem, bald in jenem Rahmen über die Urkirche, über Luther, die Gegenreformation, über alle die nächstliegenden Probleme, und das stets außerordentlich zahlreiche Auditorium folgt dem Freimut und der Ritterlichkeit, der Tiefe und Weite mit größter Anteilnahme. Längst hat man sich über die erstarrten Grabensysteme der Entfremdung und des Vorurteils hinweg die Hände gereicht. Gemeinsame Drangsal hat zu Berührung und Bindung übergeleitet, und in zuversichtlichen Herzen keimt die Hoffnung, das Rheinland, das zweimal schon .in seiner Geschichte die Wiege Deutschlands war, werde es noch ein drittesmal. Diesmal allerdings zur Wiege eines Deutschlands, das auf nichts als die Nachfolge Christi sinnt. Auch um dies tiefste Anliegen geht es dem „Kreuzzug des Friedens“, der sich gewiß nicht von ungefähr in jenem Lande erhob, dem der Ruf zur Nachfolge Christi entsprossen: Thomas a Kempis.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung