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Kunstvolle Märchenspiele

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Die Josefstadt spielt Shakespeare! Sie hat sich das „W inter- märchen“ gewählt, ein Werk der letzten Reife des großen Dramatikers, eines versöhnenden milden Herbstes, dessen sternklarer Himmel überwölbt wird von einer hohen Trauer. — Diese Trauer hängt in den Sternen, im heidnischen „Schicksal“, das in der Raserei des Königs Leontes die Menschen tödlich überfällt. Sie verfängt sich aber nicht in den kalten Sternen, die unerbittlich, unbarmherzig über den großen Tragödien Shakespeares stehen, sondern löst diese auf: als Sternschnuppen der Freude, eines tränenschweren, traumseligen Frohsinns, perlen sie über das jung-schöne Paar Perdita-Florizel, in dessen Verbindung der Streit der Väter, der Zwist, der Könige Leontes und Polyxenes ein glückseliges Ende findet.

Es ist etwas sehr Eigene um dieses Märchen aus dem „Herbst des Mittelalters“. Durch die Grausamkeiten des Königs Leontes, des eifersuchstollen Narren, gewittert noch die Erinnerung an die Blutschuld und -schände jener Könige und Adelsherren des hundertjährigen englischen Bürgerkriegs, den Shakespeare in seinen Königsdramen verdichtet hat, um sein Volk, sein Land zu befreien vom Alpdruck unzähliger Taten des Bösen. Nun aber, so erklärt sich der Dichter im Wintermärchen, sei es genug des bösen Spiels; laßt uns. das Ränkespiel der Höfe und ihrer Cliquen vergessen, wandern wir aus zur derb-heitern Einfalt der Schäferwelt. Laßt über die Torheit der Könige das Blut der freien Jugend triumphieren, laßt die Starrheit des herrischen Mannes zerbrechen durch die stille, sanfte Größe edlen Frauentums… Ein wundersam schimmerndes Märchenspiel — mit seinem tiefdunklen, in Schmerz und Grauen verhangenen Hintergrund und seinen sonnigen Lichtern, die zuletzt alles überglänzen, überstrahlen.

Die Josefstadt ist an ihrem Shakespeare nahezu ganz gescheitert. Eine hölzern prosaische Verschlimmbesserung der Tieck- schen Übersetzung durch Lehnhofer, eine modernistische Regie, die unter anderem aus Leontes einen Psychopathen, aus dem Ganzen ein in falscher äußerer Buntheit schillerndes Konversationsstück macht, zerstören weithin den Schmelz, der über dem einzigartigen Werk liegt. Gerettet wird es durch die Frauen! Vilma Degischer als Königin Hermione — ein Bild unvergleich- lieber weiblicher Hoheit und Anmut, gestaltet die Schlußszene zu einem Triumph edelster Schauspielkunst. Und sie wird aufs Schönste sekundiert durch Dagny Servaes und Aglaja Schmid. Von den Männern können sich allein Zechell und Waldau behaupten, der Schelm und der Schäfer, sie treffen allein ganz den Ton des Märchens.

Die Renaissancebühne, nunmehr in Personalunion mit der Insel unter Leon Epp vereint, eröffnee ihre neue Ära und Spielzeit mit Hermann Bahrs Lustspiel „Der Herr Hofrat" ursprünglicher Titel; „Der Krampus“. Ein ungewöhnlich starker überraschender Erfolg des alten Stücks — dank der kultivierten Leistung eines Ensembles, das sich sehen lassen kann. Simpel die Mär: Anastasius von Negrelli, der „Herr Hofrat“, vor dem alles zittert, ist ein höchst eigenwilliger Sonderling geworden, weil er seine Jugendliebe nicht geheiratet hat. An seinem Eigensinn droht das „Glück“ seiner Nichte, der Frieden seiner Umgebung zu zerbrechen, bis List und Liebe eines klugen Frauenherzens seinen schrulligen Dickschädel zurechtsetzen. — Diese Legende Bildet jedoch nur das Material, aus dem die unter der Regie Hans Thirnigs arbeitende Schauspielerschar ein köstlich-kostbares Gemälde des österreichischen Früh-Biedermeiers in zauberhafter Anmut erstehen läßt. Der Hofrat Kurt Lessens ist mit seiner Mischung von skurrilem Rationalismus und seelentiefer Schwärmerei, von verborgener Herzenswärme und sarkastischem Humor, von Pedanterie und weltmännischer Freizügigkeit ein Prototyp jenes Österreichers, den in Lied und Leben, Poesie und Prosa, Grillparzer und Stifter, Nestroy, Raimund und Saar von vielen Seiten her dargestellt haben. Spätreifer Kern in der Schale eines golden-nachdunkelnden vereinsamenden Lebens. Eine Charakterstudie, ein formvollendet gespieltes „Feuilleton“, zierlich gekräuseltes Flechtwerk um ein für immer untergegangenes großösterreichisches Zeitalter.

Ein ganz eigener Ton wird ir dieses österreichische Vor-Biedermeier hineingetragen durch ein Nachklingen der deutschen Bewegung— es ist die Gefühlsseligkeit und Schwärmerei des Sturm und Dranges zwischen Klopstock und Werther! Ein Kabinettsstück feinster Ironie des Meisters der Masken und Wandlungen Hermann Bahr, wird durch Eva Peyrer als Aurelie zu einem unvergeßlichen Erlebnis schimmernder Heiterkeit .ausgesponnen. Die gute Schalkheit eines jung-frischen Herzens, quecksilberiges Temperament, die gezierte Pre- tiosität und angeschminkte Zier der Werther-Imitation mit Leichtigkeit überspielend … Selten noch sah man in letzter Zeit ein Wiener Theaterpublikum dermaßen wohlgestimmt mitgehen wie hier bei der „Liebesszene“ Aureliens, bei diesem ganzen Eröffnungsstück des Renaissancetheaters. Ein Kammerkonzert voll Scharm und Scherz und kunstvoll pointiertem Überschwang, bestes wienerisches T h e a t er.

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