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Literatur und all das

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Anläßlich der jüngsten Berichte über die Ungelesenheit von Literatur in Österreich fühlte sich das Fernsehen verpflichtet, etwas für sie zu unternehmen. In einer hastigen und daher nicht gerade repräsentativen Auswahl wurden schreibende Leute über sich, ihre Arbeiten und Meinungen im allgemeinen befragt. Was dabei zustande kam, war nicht gerade geeignet, den Appetit der Nichtleser zu wecken. Was durchaus nicht so sein muß. Bücher und Reden darüber können ebenso gut schmek- ken wie frischgebackenes Brot. Es hängt eben davon ab, wen und was und woraus man aussucht und was man darüber sagt. So hatte der alte Nabl zwar durchaus recht mit seiner Ableh- nung des Marktplatzes dter Eitelkeit modernistischer Literatur, er hat uns aber nichts Nahrhafteres angeboten. Von Fritz Habecks Beschäftigung mit Frangois Villon war zuviel die Rede, denn das ist denn doch schon ein bißchen von vorgestern. Hingegen verspricht seirAe Familienchronik wirklich etwas substantiell österreichisches. Die Jugend war nur durch eine Geschichte mit dem in der angelsächsischen Science-fiction schon sehr abgerackerten Thema von der Umkehrung der Rollen von Tieren und MenscHen vertreten. Angesichts des bereits nahezu völligen Verschwindens der Tiere aus unserer Zivilisation ist das wohl kaum noch ein brennendes Problem. Die übrige Jugend war nur durch linkes Kaucterwelsch rezitierende Phra- seologen vertreten. Diesen jungen Burschen, der von der „gewaltsamen Einschränkung seiner Schriftstellerei durch Fesselung an den Schreibtisch” daherfaselte, dieses junge Mdächten, das sich in blue jeans dahinlümmelnd als Avantgarde „begreift”, die „die kapitalistische Führungsstruktur zerschlagen muß”, hätten verdient, nach Hause geschickt zu werden, damit sie einen geraden deutschen Satz sprechen lernen (von Schreiben nicht zu reden), und nicht im Fernsehen als „bedeutsam” vorgestellt zu werden. Dem Handtke kann das gelegentliche dumme Gerede verzechen werden, weil er nämlich wirklich zu schreiben versteht.

Von den Jugoslawen hat man in den letzten Jahren angenommen, daß sie literarisch stärker auf der Brust sind als wir hier. Nun treibt aber auch dort schon die nach-kafkasche Epigonik ihr Unwesen. — Das Fernsehspiel „Tram p” wurde in der deutschen Bundesrepublik prämiiert und hoch gelobt. Aber die waren schon immer bereit, auf alles hereinzufallen, wenn es nur genug radikal tat. Das Stück ist ein Musterbeispiel für den Manierismus des Absurden. Wo bei Kafka die Ungereimtheit der Existenz dichterisch ursprünglich ist, versucht man sie in solchen Arbeiten wie „Tramp” synthetisch hervorzubringen. Wenn bei Kafka die Leute unverständlich sprechen, so weil sie nicht anders können. Wenn sie es bei den Epigonen tun, so weil diese nicht anders können. So wird hier die Photographie rein dekorativ anstatt inhaltlich, und die Ratlosigkeit der Akteure ist in Wirklichkeit die des Autors. Und ich fürchte, hier bildet nicht ein Polizeiregime die Grundlage für dieses Unvermögen, sondern geisti- ges Versagen.

Die Schauspielerin LB D a p ove r Vį/įffc vor- dreißig, vierzig Jahren — wie sie es selber in ihrer Rolle in Krendiesbergers Spiel „Interview” sagt — mit großer Schönheit und ein wenig Talent ausgestattlet. (Als ihr damals ein Partner in einer Vorstellung in der ,,Josefstadt” seine Liebe mit den Worten „Du bist wunderbar!” erklärte, stimmte ich, ein Mittelschüler, dem laut von der Stehplatzgalerie zu, was das gesamte Publikum zu verständnisvollem Lachen brachte.) Um so peinlicher empfand ich das Comeback im „Interview”. Der dramatischen Abteilung des Fernsehens wird die Lektüre jener Stellen in Lessings „Hamburgischer Dramaturgie” empfohlen, in denen von c| r ästhetischen Ungeeignetheit der Darstellung biologischen Alters in der Kunst die Rede ist. Nur gespieltes Aller ist in der Kunst erträglich, nicht das wirkliche. Noch peinlicher aber war an dem Spitei, daß es der Künstlerin „auf den Leib” geschrieben, daß es ein Schlüsselstück just über die gleiche Künstlerin war, die es zu spielen hatte. Am Broadway wird derzeit ein „Werk” von Kenneth Tynan auf- geführt, in dem die Akteurie den Geschlechtsakt bei vollem Rampen- und Sofittenlicht vollziehen. Solchem Unfug verwandt ist es, wenn man eine Schauspielerin ihr privates Schicksal seelisch entkleidet darstellen läßt. Wie künstlerisch unwahr derlei „Realistik” ist, wurde einem am Gegenbeispiel in dem Biomonolog der Sängerin Lotte Lehmann bewiesen. Welch eine Künstlerin, welch ein Mensch, welch ein Leben!

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