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Minichiello

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Wir haben Minichiello Interviewt Raffaele Minichiello. Den Mann, dei in Kalifornien eine Boeing 707 gekapert hat, um damit nach Rom zu fliegen. Fragen Sie uns nicht, wie wir es geschafft haben. Dieses Interview zu erhalten, war fast so schwer wie eine Boeing 707 zu entführen Was sagen wir da. Schwerer. Sehr viel schwerer. Eine Boeing entführ! ja heute schon jeder Anfänger. Hier unser absolut authentisches Gespräch:

„Herr Minichiello, was hat Sie ar dem Problem besonders gereizt? „Nicht zuletzt die Schwierigkeit Sehen Sie, Boeing-Entführunger sind ja heute an der Tagesordnung Das kann jeder. Aber ein Flug vor Kalifornien nach Rom ist nicht ohne Auftanken möglich. Ich möchte sagen, es war das Problem der technischen Zwischenlandungen, das mich fasziniert hat. Ich glaube, es war eine Premiere in der Geschieht der Kaperungen.“

„Wollten Sie tatsächlich nach Rom?“ „Natürlich!"

„Warum?“

„Ich bin mir noch nicht darüber irr klaren, ob ich es aus Liebe getar -habe oder deshalb, weil ich verrück! bin. Einstweilen habe ich beide Versionen in Umlauf gesetzt.“

„Werden Sie sich endgültig für jent Version entscheiden, die Ihre Auslieferung nach Amerika unmöglich macht?“

„Mann, ich wende auf keinen Fali ausgeliefert! Es geht hier um andere Dinge. Es geht um mein Image.“ „Wozu brauchen Sie ein Image?“ „Ein Image braucht man nicht zu einem bestimmten Zweck, ein Image hat man oder man hat es nicht, und wenn man es hat, kann man es ausgezeichnet verwerten. Verrückt zu sein ist ein wunderbares Image für einen Mann, der ein solches Ding gedreht hat wie ich, aber es legt einem bei der Verwertung später Schwierigkeiten in den Weg. Verrücktheit errichtet Verkaufshindernisse.“

„Was wollen Sie denn verkaufen?“ „Mich natürlich. So gut ich es kann. Jetzt, wo ich das getan habe, werde ich doch nicht in die Anonymität untertauchen! Ich glaube, ich habe es doch aus Liebe getan. Liebe ist ein wunderbarer Verkaufsappell. Man wird sich reißen um mich. Ich baue mich als den letzten Romantiker auf. Ich bin aus Liebe zu einem Mädchen in einem gekaperten Flugzeug von Kalifornien nach Rom kutschiert, mit der Waffe in der Hand. Ist das nicht wunderbar?“

„Aber eigentlich war es doch ein Verbrechen?“

„Mann, Sie sind wirklich von gestern. Ich wußte sofort, als ich in die Maschine stieg: Überallhin, nur nicht nach Kuba. Dorthin entführt heute schon jeder Hausmeister ein Flugzeug. Es muß etwas Interessanteres sein. Na, und dann fiel mir Rom ein. Das hat noch keiner gewagt. Sie sehen — ich bin jetzt ein gemachter Mann.“

„Wieso? Sie sitzen doch im Gefängnis?“

„Ja, aber alle Zeitungen schreiben über mich, die Welt kennt meinen Namen. Daraus kann man etwa machen.“

„Aber die Welt hat Sie doch morgen wieder vergessen?“

„Mag sein, wenn man nichts dagegen tut Natürlich muß ich mich schnell

verkaufen. Ruhm ist keine haltbare Ware heutzutage.“

„Und Sie haben keine Vorliebe für irgendeine besondere Branche?“ „Mann, ich sage ja, Sie sind von gestern. Wo man sitzt, ist doch wirklich gleichgültig. Aber es gibt schon etwas, was mich interessieren würde. Die Fluggesellschaften sollen jetzt doch so phantastische Geschäfte machen? Wäre das nicht was für mich? Sagen Sie, Mann, muß man eigentlich auch dann und wann irgendwohin fliegen, wenn man Aushängeschild so einer Gesellschaft spielt? Wissen Sie, das möchte ich nämlich vermeiden. Ich wollte es ursprünglich gar nicht verraten, aber Sie sind mir so sympathisch. Wissen Sie, mir war nämlich die ganze Žeiit schlecht, hundeübel, sozusagen. Sie wissen schon. Aber von der Crew hat es keiner bemerkt. Denen war nämlich noch viel schlechter als mir.“

Tradition

Es ist lehrreich, durch die nächtlichen Straßen Wiens zu gehen. Mit offenen Augen, die sich mit Tränen füllen: Fürwahr, hier wird die Tradition noch hochgehalten und das Altehrwürdige unter Denkmalschutz gestellt! Während man sonst auf der ganzen, zugegeben: schnöden, Welt, die nur Hektik und Arbeitsersparnis kennt, Baustellen mit elektrischen Blinklichtern kennzeichnet, kann man in der Bundeshauptstadt noch Petroleumlämpchen finden. Es empfiehlt sich, aus kulturhistorischen Gründen mit seinen Enkerln zu einer Straßenbahngleisreparaturstelle zu gehen und ihnen jene Lam- perln zu zeigen, die noch zu Kaisers Zeiten Gefahrenstellen anzeigten. Dort kann man ihnen anschaulich vor Augen führen, wie mühselig es damals war, Licht ins Dunkel zu bringen, wieviel Sorgfalt und Hingabe es kostete, den Docht gerade zu schneiden, den Zylinder zu putzen und die Flamme zu regulieren, damit sie nicht rußt oder etwa das Glas springt. Das alles erforderte heute nicht mehr gängige Geduld, nervös durfte keiner sein, und seht, so wird man im flackernden Schein der Petroleumbeleuchtung ausrufen, seht, das war einmal, vor langer, langer Zeit und — so ist's heute noch bei der Gemeindeverwaltung, die ohne Lampenfieber auf das Jahr 2000 zusteuert.

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