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Musik als Bekenntnis

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Die „Furche“ hat in ihrer Nummer 14 des 2. Jahrganges dem Wirken Professors Raimund Weißensteiner mit einem Artikel Beachtung geschenkt, der die Biographie dieses großen zeitgenössischen Tonsetzers skizzierte. Raimund Weißensteiner war damals nach dem Kriegsende zum ersten Male wieder vor die Öffentlichkeit getreten und es zeigte sich, was seine Schüler und Bekannten wußten daß die große Unterbrechung seines Schaffens weder für seine Musik verloren noch die Zahl seiner Anhänger zu schmälern imstande war Was die Entwicklung seiner Musik betrifft, so sagt Professor Raimund Weißensteiner selbst, daß die dunkle Zeit seiner Haft ungemein befruchtend auf das Reifen eines musikalischen Stiles eingewirkt hat

Weißensteiner betrat insbesondere mit seiner VI. Symphonie einen musikalischen Bezirk neuer Intervallbeziehungen, von dessen Entdeckung e- selbst zutiefst erschüttert ist. Es ist reinste tonale Musik, die sich anschickt neuen Gesetzen zu gehorchen. Der Komponist ist dem Satz treu geblieben, den er einst prägte: „Komponieren ist leiden!“ Hier offenbart sich, daß dem Komponisten die Musik Leben, und das Leben Musik geworden ist. Wenn seine Schöpfungen keinesfalls programmatisch gedeutet werden dürfen, so ist es doch, als spiegle sich dann das Werden seiner Persönlichkeit, der Gang des ungewissen Lebensschicksals. Der erste Einfall zu diesem Werk stammt aus den Tagen der Kerkerhaft. Absteigende Quinten im düsteren Blech sind hier das harmonisch Charakteristische und eröffnen zugleich einen Blick in die Tiefe einer leidenden Seele. In der formalen Entwicklung scheint das innere Ringen zwischen Leben und Tod zum Ausdruck zu kommen, das sich schließlich in die Ergebenheit in einen höheren Willen und somit in Zufriedenheit und seligster Wonne auflöst.

Auf dem Programm seines letzten Konzerts standen außer dieser Symphonie zwei weitere„ bedeutende Werke: die „Lieder eines Gefangenen' und das Doppelkonzert für Flöte, Klavier und Streichorchester. Die „Lieder des Gefangenen“ hat Professor Weißensteiner' in der Kerkerzelle heimlich skizziert, weil ihm dort das Komponieren verboten war. Die Texte sind aus Psalmen genommen. Einen tiefen Sinn hat es, daß diese Lieder von einer Sopranstimme gesungen werden. Es sollte ja nicht die Stimme eines bestimmten Gefangenen, sondern die der Gefangenen in toto erklingen. Noch ergreifender ist es, wenn Professor Weißenstejner erzählt, daß er während der Zeit der Haft nur durch verläßliche Mittelspersonen mit der Außenwelt verkehren konnte, während er sich jetzt aus dem Gefängnis dieser Welt durch die verläßlichste Mittelsperson, der Heiligsten Jungfrau und Mutter Maria, mir der anderen Welt des besseren Jenseits in Verbindung zu setzen trachte. Wir rühren hier an den Wesenskcn seiner Persönlichkeit, der tiefinnerlichen Frömmigkeit seines gläubigen Herzens.

Das Doppelkonzert für Flöte, Klavier und Streichorchester stellt eine Überarbeitung seines Konzerts für Flöte, Cembalo und kleines Streichorchester dar, das dadurch für Aufführungen in großen Sälen reif geworden ist Das Werk wurde 1941 komponiert und ist dreiteilig, seine formelle- Anlage ist die einer Sonate. Professor Weißensteiner macht es dem Orchester und den Solisten nicht leicht Die wirkungsvollsten Passagen sind meist auch die technisch schwierigsten. Temperamentvoll, wie er selbst, ist auch seine Musik, die uns wohl auch deswegen sosehr in ihren Bann zieht, weil er es versteht, wie selten einer, seine eigenen Kompositionen selbst zu dirigieren. Beim letzten Konzert nahm sich die Stadt Wien als Förderin österreichischer Musikkultur des Werkes Weißensteiners an. Es ist ihr dafür Dank zu sagen, weil sie damit nicht nur dem Komponisten, sondern auch der österreichischen Kunst der Gegenwart einen wertvollen Dienst erwiesen hat.

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