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ÖBB-Entzugserscheinungen

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Wir sind alle Kinder der einen Bundesbahn. Ich bin dankbar, daß mir die Weichen gestellt werden.

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Wir sind alle Kinder der einen Bundesbahn. Ich bin dankbar, daß mir die Weichen gestellt werden.

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Ich nenne das Ziel und andere sorgen für den Weg.“ So, den Titel, wenn auch nicht sonderlich originell, hätte ich. Jetzt fehlt nur noch die Geschichte. Noch dazu, so der auch für mich zuständige FUR- CHE-Redakteur, darf die Geschichte nicht länger als „höchstens ein bis zwei Seiten lang sein“ und „humor-voll sollte sie auch sein“.

Ich bewundere meine Mitschreiberlinnen), die ihre Kurzbeiträge auf dieser begehrten „Kaleidoskop-Seite“ veröffentlichen dürfen. Während alle meine Points nur mit Kaiserschnitt auf die Welt kommen, lese ich neidvoll die mit leichter Feder Geborenen der anderen.

Zurück jetzt zu meinem themenlosen Titel.

Während meine „lieben“ Mitmenschen - ich meine natürlich nicht die FURCHE-Mitarbeiter - mit mir gerne Schlitten fahren, benütze ich lieber die Bahn.

Ich bin nämlich der ideale Bahn- fahrer. Erstens gibt es in meiner Familie keinen Führerschein, sondern nur einen „Führerinschein“.

Meine geliebte Frau, Helga, ist eine hervorragende Autofahrerin und ich bin im Auto wie im Leben: immer daneben.

Ich bin aber auch aus einem zweiten Grund ein ganz hervorragender Bahnfahrer: Ich bin ein „ewiger Einsteiger“, am liebsten „quer“. Im Leben, wie in der Bahn, wo mich bisher allerdings jeder Lokomotiv führer gehindert hat, längs einzu- ste'gen. Verurteilt mich das quälende Schicksal zu einem bahnlosen Monat, so leide ich unter unangenehmen „Entzugserscheinungen“:

Da ich nahezu alle meine FUR- CHE-Beiträge stets zwischen Feldkirch und Linz-Kleinmünchen schreibe, kann ich meine Lieblingszeitung in dieser Zeit nicht beliefern.

Ich vereinsame ohne die hochinteressanten Gespräche meiner mitreisenden Bahn-Bediensteten („Der Nowaczek kann sich brausengehen, wenn er sich als Personalvertreter wieder aufstellt ...!“), der neben mir sitzenden älteren Damen („Du hättest die Gallensteine der Aloisia sehen sollen ... “) und der beträchtlich jüngeren Männer („Der Trottel hat beim Elfmeter das Tor nicht einmal gesehen ...!“).

Ich kenne zwar Kollege Nowac- zeks gewerkschaftliche Missetaten genauso wenig wie Aloisias Gallensteine, vom Fußball rede ich über haupt nicht, aber warum sollte ich meine Zeitung - natürlich die FURCHE - in Ruhe lesen können?

Ich fühle mich überhaupt desorientiert, wenn ich eine Zeitlang die höchst verständlichen Bahnhofsdurchsagen nicht vernehmen kann.

Am meisten gehen mir jedoch die feinen, raffiniert zubereiteten Speisen und gleichnamigen -Wagen ab. Obwohl mich diese rollenden Feinschmeckerlokale an geruhsame Kriegszeiten erinnern, lasse ich mir den Genuß, mein Schnitzel stets zwischen Bier- und Zigarettenkonsumenten eingepfercht, zu verzehren, nicht nehmen.

Wir sind alle Kinder der einen Bundesbahn. Ich bin dankbar, daß mir - wie auch sonst im Leben - die Weichen gestellt und die Harten (ich meine die Eier im Speisewagen) bestellt werden.

Wie im Leben, so auch im Schoße der ÖBB: Ich nenne das Ziel und andere sorgen für den Weg!

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