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Operettensorgen

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Man kennt das Klagelied der Bühnen und man hört immer wieder den Notruf der Rundfunkstationen nach der guten, geistvollen und irgendwie „zeitnahen" Operette. Es gibt in Deutschland und Oesterreich, Frankreich und Amerika wenigstens ein Dutzend talentierter Komponisten, auch der jüngeren Generation, die gute Operettenmusik schreiben könnten. Aber es fehlt an den Textbüchern — oder aber an jener Stelle, die für dieses Genre begabte Schriftsteller mit den entsprechenden Musikern zusammenbringt. Die Scheu vor der „leichten Muse" ist bei den Komponisten nicht so groß wie bei den Dichtern, die sich nicht gern als „Librettisten" hergeben wollen. Auch zeitgenössische Komponisten von Weltruf, wie Hindemith oder Honegger, haben das leichtere Genre nicht verschmäht. Aber der eine von ihnen ist eben dabei, „Neues vom Tage" umdichten zu lassen, und der andere, dessen „Abenteuer des Königs Pausole" vor kurzem in Zürich die deutschsprachige Uraufführung erlebte, wird wegen des frivolen Textbuches von der Kritik gezaust.

Wie hübsch und unterhaltend auch eine ältere Operette sein kann, erlebte man bei der Volksopernpremiere von „Girof1ė Giroflä". Zwar ist das Motiv von den Zwillingsschwestern, die stellvertretend füreinander eintreten müssen, um die rabiaten Freier zu beruhigen, nicht neu. Aber ęs wurde so humoristisch und ironisch ab gewandelt, daß die schlimmen Klippen der neueren Operette — Sentimentalität und Kitsch — geschickt umschifft werden. Die Musik von Charles Lecocq, der hochbetagt 1918 starb und ein gelehrter Musiker war, der am Pariser Conservatoire Preise für Orgelspiel und Komposition errang (was ihn nicht daran hinderte, über hundert Operetten zu schreiben!), ist geistvoll, beweglich, fein und melodiös. Die Inszenierung durch Hans Jaray, die Bühnenbilder und die Kdstüme von Walter Hoeßlin und Erni Kniepert, die einen märchenhaft-ironischen Orient illustrieren, entsprechen weitgehend dem Geist des Librettos und der Musik. Ein besonderes Kompliment gebührt den Farbkünstlern, die eine ganz zauberhafte und duftige Palette vor dem Zuschauer entfalten. Die Hauptrollen sind mit Elfi? Mayerhofer an der Spitze glänzend besetzt (Meinrad, Imhoff, Läng- euer, Christ, Preger, Knittel und Böheim). Im Ballett unter der Leitung Erika Hankas brilliert Julia Drapal; die musikalische Leitung hat Anton Paulik, der sorgsam auch den vielbeschäftigten Chor betreut.

Kurz vorher hatten wir Gelegenheit, der Erstaufführung einer neuen deutschen Operette im Stadttheater von Freiburg beizuwohnen. Die Musik zu „Alles Kaprio- 1 e n" schrieben zwei Freiburger, Emil und Siegfried Köhler (Vater und Sohn). Der erstere gilt als der Erfinder der zündenden Melodien, während Köhler junior überaus wirkungsvoll zu instrumentieren und farbig zu harmonisieren versteht. Die beiden Komponisten versuchten, vor allem von der Musik her, eine Synthese zwischen der Gesangoperette der Nachklassik (Lehär, Kalman u. a.) und der vor allem durch den Film vorwärtsgetriebenen Revue- und Nummernoperette: es gibt also sowohl „musikdramatisch" durchkomponierte Szenen als auch Schlager- und Tanznummern. Alles Musikalische ist sehr hübsch und wirkungsvoll, zuweilen etwas knallig gemacht.

Aber das Textbuch! In einen moralisierenden Rahmen sind drei Bilder eingespannt: auf einer Luxusjacht, bei der Modenschau und im Urwald. Die Handlung wird etwas mühsam in Fluß gehalten; immerhin haben die beiden Textbuchautoren W. Petersen und F. W. Jürgens das pseudo-tragische Finale des zweiten Aktes zu vermeiden gewußt und dem Ganzen einen guten Schuß Ironie zugesetzt. (Sehr elegant und modern: die Bühnenbilder von Renate Rieß.) Man sieht auch hier: Operettensorgen sind Textbuchsorgen.

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