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Radikal entleerte Bühne

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Kürzlich lernte ich einen jungen Dramatiker kennen. Eigentlich war er noch kein richtiger Dramatiker, denn die Damen Melpomene und Thalia hatten ihn bisher nur sehr flüchtig geküßt Der junge Mann war vielmehr noch eingehend damit beschäftigt, die Form zu finden für ein Schauspiel, daß er zu schreiben und mit dem er die Theatengeschichte zu beeinflussen gedachte. Junge Dramatiker — und junge Künstler überhaupt — lehnen es bekanntlich ab, in künstlerische Fußstapfen zu treten, deshalb ist ihnen die Form so sehr wichtig, viel wichtiger als der Inhalt. Vom Inhalt her ist ja alles schon einmal dagewesen, die Grund-situationen können nur variiert werden — wer also Epoche machen will, legt auf den Inhalt keinen, auf die Form um so mehr Wert

„Die Form ist alles“, meinte der junge Dramatiker. „Man kann auch sagen, die Verpackung. Gut verpackt, ist halb gewonnen. Ich habe auch schon eine Idee ...“ Ich sah ihn fragend an. „Die Bühne hat bisher, von ein paar Ausnahmen abgesehen, sozusagen an Überfüllung gelitten“, begann er, seine Idee au erläutern. „Man kann doch die Einsamkeit des modernen Menschen, das ist nämlich mein Anliegen, nicht mit einer Unzahl von Schauspielern auf die Bühne bringen. Dürren-matt und Frisch und sogar Jonesco benötigen sehr viele Schauspieler, um ihre sehr dürftigen Ideen darzustellen. Ich aber möchte

die Bühne radikal entleeren . . .“ „Aha“, warf ich ein, „Sie eifern Beckett nach.“

Der junge Dramatiker hob die Augenbrauen bis im die Stirn. „Ich habe schon von diesem Beckett gehört ...“

„Gehört?“ sagte ich erstaunt. „Sie wollen doch nicht etwa behaupten, daß Sie noch keinen Beckett auf der Bühne gesehen haben?“ „Doch, genau das wollte ich sagen“, entgegnete der junge Dramatiker. „Ich lehne es nämlich strikt ab, mir die Stücke anderer Dramatiker an-

zusehen. Denn so wie es richtig ist, daß ein Schriftsteller keinen eigenen Stil entwickeln kann, wenn er die Romane anderer Autoren liest, so ist es auch für einen Dramatiker schädlich, sich die Stücke anderer ... Sie verstehen?“

„Ich verstehe“, sagte ach. „Sie wollen auf gar keinen Fall ein Epigone sein.“

„Genau!“ rief der junge Dramatiker aus. „Dieser Beckett ist schon auf dem richtigen Wege, je mehr Stücke er schreibt, um so weniger geht in ihnen vor und um so weniger handelnde Personen bringt er auf die Bühne. In seinem letzten Stück, habe ich gerade gelesen, ist überhaupt nur ein Schauspieler auf der Bühne, und der spricht nicht einmal, sondern denkt nur, und was er denkt, wird von einer Frau geflüstert, die unsichtbar bleibt.“ Er schwieg und sah über mich hinweg in die Ferne, als sei ihm dort eine Vision erschienen.

„Sie sagten vorhin“, wagte ich das Gespräch fortzuführen, „daß Sie die Bühnen radikal entleeren wollten.

Ist Beckett Ihnen da nicht zuvorgekommen? Denn noch weniger als einen Schauspieler können Sie doch

nicht)...“

„Sagen Sie das nicht!“ fiel der junge Dramatiker mir ins Wort „Man kann die Bühne ganz leer und niemanden sprechen lassen, nacht einmal eine Flüsterstimme.“ Ich schüttelte verwundert den Kopf. „Eine leere Bühne, keine Stimme“, wandte ich ein, „nur eine Dekoration oder vielleicht nicht einmal die, ist das nicht ein bißchen wenig? Wie wollen Sie denn etwas darstellen oder ausdrücken?“

„Das ist ja das Problem, das Nichts durch nichts darzustellen“, seufzte der junge Dramatiker, dann aber erhellte sich sein Gesicht, ,3s gilbt eine Möglichkeit. Indem man dem Bühnenhintergrund transparent macht und hinter dieser durchsichtigen Wand ein paar Schauspieler als Schatten agieren und ein paar Laute ausstoßen läßt. Denken Sie an die moderne Musik, keine Melodie, nur Geräusch. Ja, so werde ich es machen, keine Worte, nur Laute. Ich bin sicher, hier, nur hier liegt die Lösung.“

„Aber ... aber wird sich das Theaterpublikum bei dieser Art Dramatik nicht vielleicht ein wenig langweilen?“ wandte ich ein. „Pah!“ entgegnete der junge Dramatiker geringschätzig. „Was geht mich das Theaterpublikum an? Das frißt, nebenbei bemerkt, alles, außerdem haben die Leute ihr Abonnement.“

„Und darauf, daß man Sie, Ihre Ideen begreift, legen Sie wohl keinen Wert?“ erkundigte ich mich.

Der junge Dramatiker schüttelte sehr entschieden den Kopf. „Ein Künstler, der auf sich hält, kann es sich heutzutage nicht leisten, verstanden zu werden“, antwortete er. „Nur wer unverstanden bleibt, lieber Herr, der findet Verständnis. Wer diese Maxime der modernen Kunst nicht befolgt, der hat keine Chance.“

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