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WEG AUF DIE BRETTER

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Dem sajitnigen Dichter ist natürlich klar: daß sein Stück zunächst einmal von einem Theäter ‘angenomniett Verden niuß.’" Wenn er ein richtiger Dichter ist, hat er sein Stück für die Ewigkeit geschrieben und nicht etwa für irgendeine bestimmte Bühne oder gar für irgendeinen bestimmten Darsteller. Gewiß. Moliere und auch Shakespeare waren ganz gute Dramatiker und sie haben zweifellos die meisten ihrer Stücke im Hinblick auf ganz bestimmte Künstler geschrieben: aber das hatte seinen guten Grund: sie waren nämlich selbst Schauspieler. Sie träumten nicht davon, daß die Aufführung in vierzehn Tagen oder drei Wochen „stehen" mußte.

In unseren Tagen schreibt der Dramatiker — zum Schaden für ihn und für die anderen — meistens von außen, von seinem Schreibtisch her. Er ist natürlich durchdrungen von der Über-, zeugung, er schreibe für das Theater. Es kommt nur noch darauf an, das größte und bedeutendste Theater zu wählen. Wenn er das gefunden hat, ist das übrige nur noch eine Kleinigkeit: Umschlag und Briefmarke.

Nun kann eine kleine Briefmarke und ein Umschlag groß genug sein für ein Drama, die beiden Kleinigkeiten aber können für den Dichter aber sehr große Probleme darstellen. Denn beide müssen meist har bezahlt werden. Außerdem ist das Aufgeben umfangreicher Postsendungen von der Vorsehung anscheinend mit Bedacht so äußerst umständlich eingerichtet, wahrscheinlich, um den jungen Dichter zum Nachdenken anzuregen. Der entschließt sich dann oft, die ganze Macht seiner Persönlichkeit einzusetzen. Er wendet sich selbst an das Theater: dort findet er einen sehr bedeutend aussehenden Herrn vor, der ihm erklärt, daß er nicht zuständig sei. Oder daß der Direktor auf der Probe sei. Um was es sich denn eigentlich handle? Um ein Manuskript… ja, das könne er hier abgeben.

Mit dem Gefühl, den eigentlichen Lebensnerv des Theaters nicht getroffen zu haben, drückt der junge Dichter das Manuskript ans Herz und meint, er würde lieber ein andermal wiederkommen. Selbst wenn er besser unterrichtet wäre und sich beispielsweise an das Theaterbüro gewendet hätte, wäre der Erfolg der gleiche gewesen. Denn in jedem gut geleiteten Theater haben alle leitenden Herren mindestens zwei, lieber noch vier Ausgänge, und das Zimmer, das wirklich nur eine Türe hat, das ist sorgfältig abgeschlossen.

Den Tag, an dem der junge Dichter erfährt, daß sein Stück angenommen ist, soll er feiern. Es ist nämlich keineswegs selbstverständlich, daß es außer dieser Feier der Annahme noch eine andere geben wird. Denn in der Welt des Theaters soll man nie an etwas glauben, das nicht schon geschehen ist; und selbst wenn etwas geschieht, wird man gewöhnlich entdecken, daß es eigentlich nicht das ist, was hätte geschehen sollen…

Junge Dichter, deren Traum es ist, Dramatiker zu werden, sollten zuerst einmal sofort einen Arzt aufsuchen, nein, nicht einen, sondern gleich mehrere Ärzte. Nicht weil ein dramatischer Einfall etwa unbedingt schon das erste Anzeichen einer gefährlichen Krankheit wäre, sondern weil der Beruf des Dramatikers eine ungewöhnliche Konstitution voraussetzt. Daß der Magen die Kunst des Hungeras beherrschen muß, ist das wenigste. Bevor deT junge Dramatiker mit seinem Stück in den Arbeitsbereich des Theaters vorzudringen wagt, rate ich ihm, sich einer psychotechnischen Prüfung als Testflieger unterziehen zu lassen und keinesfalls Übungen wie „Das fallende Blatt“ oder zwanzig kurze „Loopings“ hintereinander ohne Gürtel und aus allen Höhen zu scheuen.

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