Roßbacher - © Foto: APA / Herbert Pfarrhofer

Roßbacher: Der Wal schwimmt wieder

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Im dynamischen Kreislauf des Lebens – Verena Roßbacher berührt in ihrem Roman „Mon Chéri und unsere demolierten Seelen“ mit leichter Hand die verwickelten Pfade unseres Daseins vor dem Hintergrund komplizierter Familiengeschichten und ungewöhnlicher Beziehungskonstellationen.

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Im dynamischen Kreislauf des Lebens – Verena Roßbacher berührt in ihrem Roman „Mon Chéri und unsere demolierten Seelen“ mit leichter Hand die verwickelten Pfade unseres Daseins vor dem Hintergrund komplizierter Familiengeschichten und ungewöhnlicher Beziehungskonstellationen.

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„Ich war ein gestrandeter Wal. Ein Wal, der schon zu lange im seichten Wasser lag, um noch die Kraft aufzubringen, zurück ins Meer zu schwimmen.“ So charakterisiert Verena Roßbacher auf einer der ersten Seiten ihres neuen Romans die Protagonistin Charly Benz. Zweifellos markiert eine Heldin am Tiefpunkt ihres Lebens einen herausfordernden Beginn.

„Mon Chéri und unsere demolierten Seelen“ ist das vierte Werk der österreichischen Autorin, die seit ihrem Debüt 2009 medial bereits viel Beachtung erfahren hat. Einig ist sich die Kritik besonders hinsichtlich des großen Einfallsreichtums, der ihr immer wieder – auch für ihre neueste Prosa – bescheinigt wird. Obgleich es sich um einen Roman handelt und die Figuren in ein fiktionales Handlungsgefüge gestellt werden, gibt es hier, wie sie betont, einige Erfahrungen und Themen, die auch mit ihrem eigenen Leben zu tun haben.

Exzentrik und Selbstmitleid

Die Protagonistin Charly Benz ist in der Schweiz aufgewachsen und hat sich wie die Autorin mit den Studienrichtungen Germanistik, Philosophie und Theologie beschäftigt. Nachdem ihr der Vater, mit dem sie nur in loser Verbindung ist, seine finanziellen Zuwendungen entzogen hat, weil sie nach erfolglosem Langzeitstudium „mit Fächerkombinationen ohne Perspektive“ nicht bereit ist, eine Hotelfachschule zu absolvieren, geht Charly nach Berlin, wo sie zunächst als „Mädchen für alles“ bei der „veganen Foodcompany LuckyLili“ beginnt, zum ersten Mal Geld verdient und schließlich, als das Start-up unvermutet reüssieren kann, in der Marketingabteilung landet.

Es könnte alles gut laufen, aber Charly steckt in einer veritablen Krise. Nichts in ihrem Leben läuft rund. Alles erscheint vielmehr wie ein „komplizierter persischer Teppich“ oder überhaupt „wie eine mathematische Gleichung“. Zunächst einmal hat sie Postangst, was bedeutet, dass sie ein Abo beim „Postengel“ Herbert Schabowski hat, der ihre Briefe öffnet und bearbeitet. Die Sitzungen bei ihm wachsen sich zu Gesprächstherapien aus, in denen sich Charlys Exzentrik und Selbstmitleid, die Probleme mit ihrem Singledasein, aber vor allem auch ihre Komplexe offenbaren. Zum Geburtstag schenkt ihre Schwester Sybille ihr daher eine Familienaufstellung. Sie könnte sich als Setting erweisen, in denen Stellvertreter ihr Leben ins Lot bringen. Immerhin taucht das Motiv des „Stellvertreterkriegs“, wie ihr auch Herr Schabowski vor Augen führt, ständig in ihrem Leben auf. Charly ist entrüstet: „Einsam, ausgebrannt, verbittert, verängstigt, dumm, frustriert und hässlich? Was soll da noch kommen?“ Trotz anfänglicher Vorbehalte geht sie aufgrund eines Deals mit Herrn Schabowski dort hin und muss erstaunt feststellen, dass ihr der zweite Aufstellungsanlauf einiges zum Grübeln und Auflösen mit auf den Weg gibt. Der ominöse Brief, der symbolisch eine Wende einleitet, und die Erkenntnis, dass sie schwanger ist, ohne den Vater zuordnen zu können, tragen noch das Ihre dazu bei.

Lockeres, dynamisches Spiel

Roßbacher legt die Koordinaten ihrer Geschichte klug an. Sie entwickelt sie in drei großen Teilen mit insgesamt 133 Kapiteln und verschränkt dabei Rückblenden mit Gegenwartssequenzen in einem lockeren, dynamischen Spiel, um die Handlung rasant voranzutreiben. In einem Interview mit dem Saarländischen Rundfunk betont Roßbacher, dass es ihr ein Anliegen sei, wichtige Fragen „mit leichter Hand“ zu behandeln: „Das bedingt sozusagen ein saftiges Erzählen, weil es einen mitnimmt auf verschlungenen Wegen und zu Themen, die gar nicht so einfach sind.“

Auch wenn es in erster Linie um Charly und ihre Veränderung geht, rücken Figuren an ihrer Seite plötzlich mit in den Fokus. Herr Schabowski erhält eine Lungenkrebsdiagnose ohne Hoffnung auf Heilung. Zunächst will Charly sein Aufgeben nicht akzeptieren, steht an seiner Seite und holt sich bei Sybille Rat, die wiederum alle möglichen Methoden ins Spiel bringt. Herr Schabowski und Charly – sie machen alles gemeinsam – schleppen sich durch Meditationskurse, Trommelsessions, Yoga- und sogar Channeleinheiten. Ein Punkt ist für Herrn Schabowski aber nicht verhandelbar: „Wenn … klar werden sollte, dass nichts mehr hilft – … wenn alles ausgeschöpft ist, dann möchte ich so sterben, wie ich es für richtig halte ... Ich bitte Sie, mich dann im Sterben ebenso zu unterstützen wie im Leben.“

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