Sein Himmel: Josef Winklers "Roppongi"

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Josef Winkler schreibt mit seiner Novelle "Roppongi" ein berührendes Requiem für (s)einen Vater.

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Josef Winkler schreibt mit seiner Novelle "Roppongi" ein berührendes Requiem für (s)einen Vater.

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"Ich sage dir, du wirst zu uns zurückkehren, nicht ins selbe Dorf, aber du wirst die einfachen Menschen bis an dein Lebensende suchen, und nirgendwo wirst du mehr einen Vater finden, mein Sohn. Du wirst über deinen toten Vater ein anderes Buch schreiben als über deinen lebenden. Du wirst verstehen, mein Sohn, und dafür schenke ich dir mein Leben: bring mich um. In deinem Vater hast du dich geirrt, wie ich mich in dir geirrt habe. Ich stehe in deiner, du stehst in meiner Schuld. Keiner von uns beiden ist besser oder schlechter. Du hattest immer jemanden, mit dem du im Kampf standest, das erhielt dich am Leben … Der Tod, das ist dein Thema. Mein Thema ist das Leben, das Brot, die Milch und die Butter, der Kukuruz und das Getreide. In dem Augenblick, wo ich tot sein werde, wirst du das Thema wechseln."

Tod und Leben

Diese Worte schrieb der 1953 in Kamering geborene Josef Winkler vor 27 Jahren in seinem zweiten Roman Der Ackermann aus Kärnten dem Vater in den Mund. Winklers Schreiben begann mit einem wütenden Abarbeiten seiner Kindheit. Im Ackermann aus Kärnten konnte man im Titel unschwer den Tod erkennen, angesprochen ist aber auch der Vater, der "Gott der Kindheit". In allen Romanen der Trilogie Das wilde Kärnten schrieb sich die Sehnsucht des Kindes nach kaum erlebter Zärtlichkeit ebenso ein wie die Erinnerung an Schläge; die Schwierigkeiten eines nutzlosen Fressers, sein Interesse an Literatur in der Welt der Bauern zu behaupten; die Erfahrung dörflicher Sprachlosigkeit einerseits und der Allgegenwärtigkeit des Gebets andererseits, das sich auch formal auf die von der katholischen Liturgie und Bilderwelt geprägte Schreibweise auswirkte … All das und mehr war als erschütternde Anklage zu lesen, das Schreiben als ein Losschreibenmüssen überdeutlich, obgleich sich auch schon (leise) zärtliche Töne finden ließen. In den folgenden Jahren wurden die Texte versöhnlicher. Thema ist der Vater jedenfalls über all die Jahre geblieben, er hat in vielen Büchern Spuren hinterlassen, die Winkler auch in seiner gerade erschienenen Novelle Roppongi aufgreift und neu belebt, als Requiem für einen Vater.

Vater und Sohn

Denn nun ist dieser Vater gestorben, der durch seinen Sohn längst zu einer literarischen Gestalt geworden ist. Der Sohn erinnert sich, wie ihn die Nachricht vom Tod in Tokio im Stadtteil Roppongi erreichte. Da war doch zuvor noch dieser Anruf vom Vater: "Wenn ich einmal nicht mehr bin, dann möchte ich nicht, daß du zu meinem Begräbnis kommst!" Warum, das erklärte die Schwester damals in einem Anruf am nächsten Tag: "… er habe Angst, daß ich bei seinem Begräbnis erschlagen würde." Ein deutlicher Hinweis Winklers auf den Umstand, dass er sich im Lauf der Jahre nicht unbedingt Freunde erschrieben hat im heimatlichen Dorf. Nun aber stellt sich die Frage, kommen oder nicht, für ihn gar nicht: er käme ohnehin zu spät. Gerade ihm, der so viele Bestattungen als Ministrant begleitet, genauestens beobachtet und später ebenso genau beschrieben hat, bleibt nun nichts übrig, als das Begräbnis und die Blumen, die er dem Vater gerne in den Sarg gelegt hätte, zu fantasieren. Zur Stunde der Beerdigung des Vaters erzählt er in Japan den Kindern "Schönheiten und Grausamkeiten aus meiner Kindheit".

Roppongi, diese Prosawanderung zwischen Orten und Zeiten, führt einmal mehr das Charakteristische und das Bezaubernde an Winklers Schreiben vor Augen: die Bilder. Sie sind bekannt, ziehen sie doch durch die Prosa seit Jahrzehnten, beschwörend, immer wiederkehrend wie Litaneien. Der Gekreuzigte ohne Arme aus Wenn es soweit ist, das Julius-Meinl-Sackerl aus Leichnam, seine Familie belauernd, die beiden jugendlichen Selbstmörder, die aufgebahrte Großmutter: bekannte Bilder, vertraute Sprache: "… ihr erinnert euch, die Flut meiner Erinnerungsbilder beginnt mit meinem dritten Lebensjahr …"

Winklers Prosa ist mit den Jahren leichter geworden, weniger Zorn und Eifer fließen aus ihr. Mit der Heimat versöhnt etwa am Schluss die Erinnerung an die verehrte alte Frau, der er als Ministrant, Trauergast und kleiner Witwer zum Abschied einst Weihwasser ins Gesicht spritzte. Ein zärtliches Bild wie das vorangestellte Motto aus einem der Narayama-Lieder, die sich im folgenden immer wieder in den Text hineinsingen: "Komm, Väterchen, und sieh: / Die kahlen Bäume mehren sich. / Komm nur heraus und nimm dein Brett. / Jetzt wird es Zeit zu gehen." Längst nämlich hat sich Winkler wegbewegt von Kärnten - auch in seinen Büchern: zunächst nach Italien, dann nach Indien.

So wird auch die Erinnerung an die erste Reise nach Indien geprägt von einem Bild. Der 85-jährige Vater steht im Hof: "zwischen Haus und Heustadel, und schaute auf den vorbeifahrenden Omnibus, suchte uns hinter den spiegelnden Fensterscheiben, den speckigen Hut in der Hand."

Besonders schön: die Erinnerung an die einstige Rückkehr des verlorenen Sohnes. Da haben Sohn und Vater gemeinsam auf dem Dachboden nach Tausend und eine Nacht gesucht, dem einzigen Buch, das der Vater in seiner Jugend gelesen hat und wieder haben wollte, "aber wir haben es nicht mehr gefunden, das eine und andere habe ich dir von den Flohmärkten, von der Caritas, von den Antiquariaten gebracht, aber nie mit dem richtigen Buchumschlag. Es war ein anderes Bild drauf! sagtest du abweisend, auch ein wenig verzweifelt und traurig, fast hundert Jahre lang hast du dieses Bild, das ich immer noch nicht gefunden habe, nicht aus den Augen verloren."

Heimat und Indien

Heimat und Indien, Gegenwart und Vergangenheit - Winkler wechselt in diesem Requiem hin und her wie zwischen Diesseits und Jenseits, und dieser Wechsel bleibt nicht ohne Auswirkung - auf die Bilder ebenso wie auf das Schreiben über den Tod, der in Indien vom Leben nicht derart getrennt wird wie in der Heimat.

Wie in Domra. Am Ufer des Ganges schildert Winkler hinduistische Bestattungsrituale. Sein genauer Blick und die nicht weniger genaue Beschreibungskraft sind längst legendär und auch hier wieder nachzulesen. Gegen Ende werden Indien und Heimat in einem Bild eins. In Varanasi wird ein toter Sadhu auf einer Sänfte getragen, sein Gesicht erinnert an den Vater. "Als der Körper des Toten auf dem Bug des Bootes noch zurechtgerückt wurde, da sein Kopf zu tief über den Bootsrand hinunterhing, verrutschten die Augenlider, und er öffnete tatsächlich noch einmal seine Augen und schaute mit leerem und, wie ich es in diesem Moment verstand, väterlichem Blick das allererste und allerletzte Mal in den Sternenhimmel hinauf, denn es war nun sein Himmel und kein anderer."

ROPPONGI

Requiem für einen Vater

Novelle von Josef Winkler

Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2007

160 Seiten, geb, € 15,30

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