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So war es — so ist es

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In einem mutigen Zyklus „Spiegel der Zeit“ präsentiert das Volkstheater ein wichtiges, bedenkenswertes Stück. Carl Sternheim schrieb das peitschende Schlußfanal seines „bürgerlichen Heldenlebens“ in einem von der Weltgeschichte kaum sehr beachteten Jahr. Dennoch gab er ihm den erst im Nachhinein symbol- trächtig gewordenen Titel „19 13“. Die expressionistische Satire richtet sich, von einem „verzweifelt Deutschen“ (nach der Definition Thomas Manns) geschrieben, mit notwendiger Direktheit an das eigene Volk, haarscharf und ohne abschwächende Verallgemeinerung an eine ganz bestimmte Generation und Zeit. Gemeint ist das, was gesagt wird. Und das ist dies: Die „erste Generation" der kapitalistischen Gründerpioniere ist alt und schicksalhaft-pessimistisch geworden. Angesichts des totalen Versagens der legitimen zweiten Generation, die nur noch die Geldintrige als Selbstzweck, den unproduktiven Verzehr und Lebensgenuß kennt, suchen die Geldherren nach tüchtigeren Erben. „Not tut ein Held, der freislich und frei…", so heißt es in Wagners Ring mythisch-ver- brämt, aber erschreckend klarsichtig angesichts der „Götterdämmerung“. Das Bündnis mit den jungen Marschierern, korrupt, eitel und geltungssüchtig wie alle anderen in Stemheims Sicht, gewinnt erste Gestalt.

Der Teufelskreis schließt sich. Das sich wieder und wieder abwi’ckelnde Modelltheater hat die erste Premiere: 1914. Aber da ist noch ein anderer, der aus dem Zirkel auszubrechen scheint. Der nationalschwärmerische Dichter (der literarhistorisch gewordenen Gestalt Stadlers bis auf den Namen nachgezeichnet) Sternheim, der Unbestechliche, wird ihm gegenüber merkwürdig unsicher, ähnlich wie Thomas Mann vor Hans Castorp und Tonio Kröger. Wäre das nicht doch der in die Nacht hinausstürmende Lichtbringer, der den heilenden Sturm heraufbeschwört? Aber ist dieser Sturm heilsam? Hat Stadler die Heilsbotschaft? Die Frage bleibt bei Sternheim offen, konnte 1914 nur offen bleiben. Leon Epp, der das Stück inszenierte, ist natürlich — wie wir alle — um fünfzig Jahre historischen Unterrichts gescheiter. Er weiß, daß auch germanische Erneuerung und Flucht in den vorfaschistischen Irrationalismus die Todeskrise des deutschen Großbürgertums nicht lösen konnte. Und so macht er den entscheidenden Fehler, in den Text des Stückes Erkenntnisse hineinzulegen, die selbst der kluge Sternheim nicht haben konnte. Es wäre besser gewesen, statt allzuvieler Symboldeutungen und Überdeutlichkeiten dem reichlich unvorbereiteten Publikum zunächst einmal ganz präzise und mit preußischer Exaktheit den Text, das Aktenmaterial zu bieten. Trocken, sachlich, expressionistisch knatternd, wie einen Trommelwirbel hätte man das alles sagen müssen. Das bizarr-grelle, perspektivisch-verschrobene Bühnenbild Gustav M a n k e r s war auf dem Wege dazu. Aber eben dies schafften die Schauspieler einfach nicht. Wo sie Persönliches mitbrachten wie Otto Woegerer (Freiherr Maske) und im ganzen auch Herbert Propst (Stadler) kam wenigstens der Umriß der Gestalt heraus. Von den anderen, dem Text ratlos gegenüberstehenden Figuren ist bestenfalls das Eulenburg-Bildchen von Hans Weicker erwähnenswert. Der einzige, der wußte, worauf es ankommt und der seine Rolle wenigstens vom Intellekt her bewältigte, war Hans Meister (Sekretär Krey).

Man kann des Österreichers Hans Schubert Gegenwartslustspiel „M i t besten Empfehlungen“ trotz seiner zuweilen imponierend treffsicheren Satire mit Sternheim natürlich nicht in einem Atem nennen. Dennoch möchten wir diese Uraufführung an den Kammerspielen zu den spärlichen Aktiven der begonnenen Spielzeit zählen. Man braucht sich des ziemlich ununterbrochenen La-hens oder Schmunzelns nicht zu schämen. Schuberts Zeitkritik bleibt bei den Symptomen stehen, sie macht nicht den Versuch, tiefere Ursachen für das Protektionswesen unserer Tage auch nur anzudeuten. Der Siegeskranz für den weisen Aufsichtsratvorsitzenden der (patriarchalisch-privaten) Industrie ist gerade noch so verschnörkelt geflochten, daß man ihn nicht ernst zu nehmen braucht. Aber die menschlichen Gestalten stimmen nicht nur dramaturgisch, sie haben auch farbig-ab- schattiertes Leben. Der junge Regisseur Hans Hollmann hatte bestimmt sein Ver gnügen, aus dem vollen der Josefstadt 1 schöpfen zu dürfen. Um so anerkennens- ] werter die Dezenz, mit der er Stars vom i Range eines Ernst Waldbrunn und Otto i Schenk „bändigte“ und prächtig ins En- : semble fügte. Der einzige Johann Sklenka ist noch zu sehr beim Kabarett, zuwenig im Kammerspiel. Daß Ilse Hanel, Carl : Bosse, Martin Costa, Franz Messner und Erich Nikowitz alle Nuancen und Töne köstlich einsetzten, versteht sich fast von selbst. Die Ironie des Bühnenbildes (Gerhard Hruby) lag noch eine Etage höher als die des Textes.

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