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Sophies wundertätiger Wal

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Ein Dorf befindet sich im Wundertaumel. Hinter dem Haus des Bürgermeisters erstreckt sich über Nacht ein Tennisplatz auf einer schiefen Ebene, das Haus des Metzgers am Dorfplatz ziert plötzlich eine barocke Prunkfassade, fällt aber kurz darauf wieder in sich zusammen, der Knecht Jodok, der nie ein Musikinstrument gelernt hat, spielt wunderbar Geige, der Pfarrer schwebt dreißig Zentimeter über der Erde, die verschwundene Braut Maria taucht auf und wird urplötzlich in einen Hund verwandelt.

Das ist alles mit dem Wal, dem Un-fisch, und Sophie Moor gekommen. Als Sophie, die Erbin des Schaustellers Roberto, den vergeblich vor der Kirchentüre auf seine Braut wartenden Carl tröstete, entdeckte sie Seltsames: Jedem Mann, der im Bauch des Wals, unter dem blutrot leuchtenden Herzen des Tieres mit ihr schläft, wird ein Wunsch erfüllt.

Der ahnungslose,enttäuschte Bräutigam wünscht sich noch die entflohene Liebste herbei, aber der abgewiesene Freier, der ,Hundemann' Landauer, versucht Wünschen und Wunder auf eine Funktion zu degradieren. Er verwünscht die Braut in einen Hund und setzt damit die Spirale von Eigennutz, Neid und Gier in Gang. Die Männer des Dorfes, angestachelt von Gewinnsucht, Prestigedenken, Macht- und Triebbesessenheit und von ihren Frauen, stehen Schlange vor dem Wal mit der zau-brischen Frau. Immer mehr verlangen sie für sich, immer mehr werden ihre Wünsche zum Schaden der anderen. Marias Vater setzt wenigstens seinen einzigen Wunsch, den er frei hat, für die Bückkehr seiner Tochter ein. Schließlich soll der Bub Wenzel, der Bruder des inzwischen inhaftierten Carl, das hoffnungslos zerstrittene und demoralisierte Dorf durch einen Wunsch retten und dem bösen Treiben ein Ende setzen. Da hat Landauer bereits die Brandfackeln geworfen, und der Wal stürzt in den Abgrund.

Das Märchen vom Fisch, der dem Fischer zum Dank für sein Leben, das ihm dieser geschenkt hat, einen Wunsch gewährt und die ,wahre' Geschichte von einer Prostituierten, die den Zusammenhalt einer Dorfgemeinschaft garantierte, verschmelzen unter Köhlmeiers Blick zu einer metaphorischen Geschichte, vielleicht auch zu einer moralischen Geschichte. Sie erzählt in phantasievollen Bildern eigentlich die Geschichte vom Menschen, der unfähig ist, sich auf einen Herzenswunsch einzulassen. Die Gier nach Befriedigung aller Bedürfnisse gefährdet die einzelnen Menschen des Dorfes und ihre Beziehungen untereinander.

Abgeklärt, fast zu weise, gebärdet sich der Erzähler, der den Leser durch das turbulente Geschehen führt, der zum Hören und Schauen, auch zum fragenden Nachdenken über Glück und Wunder einlädt.

Irgendwie rührt die Erzählung auch an das Genre des Heimatromans: Die Topographie, das geschlossene Dorf, der Dorfplatz als zentraler Handlungsort, die Felsschlucht als

Ort der Krise. Die Beteiligung aller sozialen Bollenträger, wie Bürgermeister, Pfarrer, Fleischhauer, der naive Liebhaber, der böse Widersacher, die gefährliche Zauberin, die aus der Stadt kommend Unheil in das Dorf bringt, - sie scheinen alle sehr bekannt. Verblüffend aber ist, daß auch nach dem Feuerszenario der Widersinn zwischen Meinen und Tun in den beiden Liebenden, um, und durch die der Konflikt entbrennt, nicht aufgehoben ist.

Die Erzählung ist strukturell auf das Medium Film hin orientiert. Wie Bildschnitte und Kameraeinstellungen wechseln die Szenen, und doch behauptet Bobert Dornhelm, der Be-gisseur des Films „Der Unfisch”, daß er gerade über die Dramaturgie der Erzählung nicht recht glücklich gewesen sei. In dem Interview mit Christian Seiler, das einschließlich einiger Filmbilder im Anschluß an die Erzählung zu lesen ist, stellt er fest, daß Wunder eben besser in Sprache als in Filmbildern zu erzählen seien.

Nun hat der Verlag Deuticke in diesem Jahr bereits das dritte Buch von Michael Köhlmeier nach dem Libretto zur Oper „Die Welt der Mongolen” von Kurt Schwertsik und der köstlichen Erzählung „Dein Zimmmer für mich allein” der Öffentlichkeit präsentiert. Es sollte beider Ansehen nicht abträglich sein!

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