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TAROCKANIEN …

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Es ist eine traurige, aber unbestreitbare Tatsache, daß die Welt dem Phänomen Österreich mit tiefem Unwissen gegen- übersteht. Sie nimmt gerade noch zur Kenntnis, was ein paar im Ausland verlegte Reisebücher über die gängigen Touristenrautein an Falschem aussagen, und damit gut.

Nich geringe Schuld an diesem beklagenswerten Zustand tragen die internationalen Fahrplankonferenzen, die es zustande bringen, daß bedeutende Schnellzugslinien, deren Expresse unteT Pomp, Gestank und Donner von irgendeiner Grenzstation abgelassen werden, im Innern Österreichs schon nach kurzer Frist spurlos versickern, nachdem sie irgendwann auf der Strecke durch einen rätselhaften Abschuppungsprozeß den Speisewagen verloren haben. Meistens geschieht dies in der Gegend von Leoben, diesem Gewitterwinkel des europäischen Reiseverkehrs. „Leoben… ja, Leoben! Ein Zug, der was da drüberkommt, der is aus’n Wasser!“ Dies die ständige Redensart der großen österreichischen Eisenbahnfachleute (indessen die Anteilnahme der übrigen Chargen am Bahnbetrieb hauptsächlich darin besteht, mit Kind und Kegel, umsonst oder um hohnvoll kleine Beträge, in der Luxusklasse der Netze spazierenzufahren). Mehr als einmal haibe ich es erlebt, daß alte, erfahrene Stationschefs einem aus Leoben ausfahrenden Expreß lange kopfschüttelnd nachschauen, wobei sie wohl auch ein kaum hörbares „Wieder einer…" vor sich hinmurmeln. Dann gehen sie ins Dienstzimmer zurück, stellen die Telegraphenleitungen ab, werfen sieh seufzend aufs schwarzlederae Sofa und stöhnen noch lange: „Jo… jo, jo… jo“, ehe sie in traumgequälten Schlummer versinken.

Unter solchen Umständen ist es kein Wunder, daß man nur wenig von jenem eigentümlichen Staatengebilde weiß, welches knapp nach dem Laibacher Kongreß von 1821 ins Leben trat und sich seither immer weiterfrißt, unmerklich und unaufhaltsam, bis es eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages die Welt erobert haben wird.

Am Laibacher Kongreß war vernünftigerweise beschlossen worden, zwischen die deutschen, slawischen und romanischen Gebiete im Südosten Europas einen Pufferstaat zu legen, das „Burgund der Levante", wie einige poetisch es benannten, und sie hatten so unrecht nicht. Denn gerade Burgund hängt innig mit dem Osten zusammen, gerade Burgund hatte das ganze Mittelalter hindurch nach der Herrschaft über die Levante gestrebt und hatte im Verlaufe der Kreuzzüge nicht nur Griechenland, sondern auch dazu noch Teile Vorderasiens erobert, wo es das Königreich Jerusalem und die Fürstentümer Edessa, Tripolis und Antiochia gründete. In Griechenland zählten Athen, Elis, Achaia und Korinth zu den stolzesten burgundischen Eroberungen. Nirgends herrschte solcher Glanz wie an diesen Höfen, und besonders Achaia war lange Zeit das Vorbild allen höfischen Lebens und eine Hochburg des Minnesangs.

Daß der neu zu gründende Pufferstaat eine streng monarchische Konstitution bekommen mußte, erklärt sich ohne weiteres aus der Epoche seiner Entstehung. Kopfzerbrechen gab es nur über die Frage der Dynastie, denn es kamen mehrere Häuser in Betracht. Dem großen Bayernkönig Ludwig zum Beispiel lag der Orientkenner Fallmerayer unaufhörlich in den Ohren, beschwor ihn, alte Anrechte geltend zu machen, und pinselte Sr. Majestät in glühenden Farben ein Kaisertum Kämthen vor Augen. Zum Glück brach bald darauf der von England zur Ablenkung arrangierte griechische Freiheitskampf aus, und die im Londoner Nebel gebrauten Machenschaften leiteten die wittelsbachische Gefahr nach Hellas um. Jetzt schien dem Hause Coburg der neue Thron gewiß. Aber da raunzte Kaiser Franz und wollte dort eine Quartogenitur der Habsburger errichten, was wiederum die anderen Herrscherfamilien lebhaft zu verschnupfen begann. Endlich, als das europäische Gleichgewicht schon so weit verschleimt war, daß man wie einen dumpfen Husten die Säbel rasseln hörte, ließ Metternich seinen Geist leuchten. Die von ihm gefundene’ Lösung war einfach, war so dynastisch wie möglich und war zugleich so durch und durch dem tiefsten Volksempfinden, ja den Idealen des kommenden Jahres 1848 angepaßt, daß wir wieder einmal mit ehrfürchtigem Staunen den kühnen Gedankenflug dieses bedeutenden Staatsmannes bewundern müssen: er schuf das Reich der Tarocke, von Nörglern, denen nie etwas recht ist auch das „Spiegelreich des linken Weges" geheißen.

(Aus „Maskenspiel der Genien“, erschienen im Verlag Langen-Miiller, München.)

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